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Part I
Die Gründung Hildesheims
Hildesheimer Jungfrau
Der wilde Jäger im Wool
Der falsche wilde Jäger
Das Schauteufelkreuz
Der Stein
Teufel auf der Domschenke
Teufelshorn
Werwölfe
Die glühende Kutsche
Die gläserne Kutsche
Wo jetzt Hildesheim steht, war früher alles „Wool“ (Wald). Vor dem Dammtor und bei St. Michaelis ist noch Holzung gewesen, als die Stadt schon erbaut war; darum heißt die Straße bei St. Michaelis noch heute „der Wool“.
Die Erbauung der Stadt hat nun vor mehr als tausend Jahren ein frommer Kaiser (Ludwig der Fromme) befohlen. Diesem Kaiser gehörte das ganze deutsche Land; die schönsten Städte und Dörfer standen ihm offen, aber er war an keinem Orte lieber, als in unserer Gegend, denn er war ein Freund vom Jagen, und wo hätte er mehr und besser Wild finden können, als in dem damals unermäßlich großen „Woole“.
Eines Tages war der Kaiser wieder mit seinem Jagdgefolge zu Holze gefahren und verfolgte hitzig einen weißen Hirsch. Der Kaiser hatte das schnellste Pferd und die schnellsten Hunde, aber noch flinker war der Hirsch, der lief über Berg und Tal, sprang in die Innerste und schwamm durch. Der Kaiser, immer hinterdrein, sprang auch ins Wasser, verlor aber dabei sein Pferd und seine Hunde; der Hirsch entkam und der Kaiser schleppte sich müde und matt noch eine Strecke weiter unter einen hohen Baum, um auszuruhen.
Da lag nun der verirrte hohe Herr mutterseelenallein in der Wildnis, er stieß in sein Jagdhorn, um das Gefolge herbeizurufen, aber alles Blasen und Rufen war vergebens; er erhielt keine Antwort, denn sein schnelles Pferd hatte ihn meilenweit von den Begleitern fortgetragen.
Da wurde es dem Kaiser doch recht bang ums Herz; er nahm von seiner Brust ein goldenes Kreuz mit Heiligtum von der Mutter Gottes, hing es vor sich an einen wilden Rosenstrauch und betete davor inbrünstig, daß ihn die Mutter aller Gnaden doch nicht hier in der Wildnis verkommen lassen, sondern am Leben erhalten und wieder zu Menschen führen möchte. Gleich darauf fiel der Kaiser in einen tiefen Schlaf, und als er wieder erwachte, sah er zu seiner großen Verwunderung vor sich den Platz mit Schnee bedeckt, während ringsum alles in grüner Sommerpracht stand; auch das Heiligtum, welches er in den Rosenbusch gehängt hatte, war darin festgefroren, und dennoch blühte am Busch die Rosen weit schöner und voller, als sie vorher geblüht hatten.
Da merkte der Kaiser, daß Gott hier ein Wunder getan habe, und gelobte, auf der Stelle, wo der „heilige Schnee“ gefallen war, eine Kirche zu bauen. Noch sann er über diesen frommen Vorsatz nach, als Hundegebell und Waldhörner durch den Wald erklangen; sein Jagdgefolge kam herbei und war hoch erfreut, den Herrn gesund und frohgemut wieder zu finden.
Nun erzählte der Kaiser, welchen Wink ihm Gott gegeben habe, und befahl, auf der heiligen Stätte sofort eine Kapelle zu bauen; der wilde Rosenstock aber, der das Heiligtum so festgehalten habe, solle nicht fortgenommen werden.
So geschah es: es entstand als das erste Gebäude von Hildesheim die kleine Kapelle am Dom, die noch heute steht.
Auch der Rosenstock grünt und blüht noch heute an der uralten Mauer, und ist seinesgleichen an Größe und Wunderbracht nicht weiter in der Welt zu finden.
Auf den Hildesheimischen Fahnen und Stadtwappen steht die Hildesheimische Jungfer (in rot und gelb gekleidet, den Hildesheimischen Stadtfarben) mit einem Kranze in der Hand. Über die Entstehung dieses Wappens erzählt man aber folgende Sage.
Es lebte einst zu Hildesheim ein schönes und reiches Edelfräulein, um welches viele Grafen und Ritter der ganzen Nachbarschaft freiten. Indessen holten sich die Meisten Körbe, denn das Fräulein hatte sich heimlich mit einem jungen Ritter, der der Dienstmann eines benachbarten Fürsten war, verlobt. Allein dieser Letztere sollte von diesem heimlichen Verlöbniß nichts erfahren, und deshalb pflegten die beiden Liebenden sich zuweilen in dem großen Hildesheimer Walde zu treffen, der damals noch bis an die Stadt ging. Eines Tages ging das Fräulein auch zu einer solchen Zusammenkunft hinaus in den Wald und suchte die große Linde auf, wo ihr Geliebter gewöhnlich auf sie zu warten pflegte. Allein kaum war sie an der Grenze des Holzes angelangt, so zog ein schweres Gewitter herauf, sie eilte so schnell als möglich nach dem Baume zu, aber als sie endlich dort anlangte, da lag ihr Bräutigam leblos auf dem grünen feuchten Moose am Fuße des Baumes, der Blitz hatte ihn erschlagen. Da wußte das arme Mädchen vor Verzweiflung nicht, was sie thun sollte, sie zerraufte ihr Haar, weinte und schrie und lief blindlings und ohne Nachdenken immer tiefer hinein in das Dickicht. So mochte sie einen ganzen Tag in der Irre herumgelaufen sein, als sie endlich ermattet unter einem wilden Rosenstrauche niedersank und einschlief. Da erschien ihr im Traume die Hl. Jungfrau und sprach ihr Trost zu.
Gestärkt erwachte sie und suchte nun den Rückweg nach ihrer Vaterstadt, allein sie fand sich in einer vollständig fremden Gegend und sah weder Weg noch Steg. Da fiel sie nieder auf die Knie und betete zur Hl. Jungfrau und gelobte all ihr Hab' und Gut der Kirche zu schenken, sofern ihr die Hl. Jungfrau wieder auf den rechten Weg helfe. Kaum hatte sie dieses Gelübde getan, als sie in weiter Ferne eine Glocke hörte, die rief ihr zu: "Kehre wieder! kehre wieder! kehre wieder!" Da lief die Jungfer, Gott dankend, den heiligen Klängen entgegen und je weiter sie vorwärts drang, desto deutlicher hörte sie die Glocke, bis sie aus dem dunkeln Wald kam und die schönen Felder und Gärten der Stadt zu ihren Füßen lagen. Da war es gerade acht Uhr Abends, doch das Fräulein mochte mehrere Tage im Walde herumgelaufen sein.
Die so wunderbar gerettete Jungfrau hielt nun pünktlich, was sie gelobt hatte. Sie beschenkte Kirchen und Klöster reichlich, vor Allem aber bedachte sie ihre liebe Vaterstadt und schenkte den Bürgern den ganzen Hildesheimer Wald, der ihnen, obwohl durch die viele Nutzung jetzt auf einige waldige Hügel zusammengeschrumpft, noch heute unentgeldlich Holz für den Winter liefert.
Der Festungsturm, auf dem die rettende Abendglocke hing, heißt seitdem und bis auf den heutigen Tag der "Kehre wieder!" Die Glocke selbst ward aber geweiht und in dem St. Lamberti-Kirchturm aufgehängt. Damit nun die Glocke künftig auch andern verirrten Wanderern recht von Nutzen sein könne, so machte es die Jungfer fest, daß sie in den kurzen Tagen von Michaelis bis Ostern eine ganze Stunde und zwar Abends von 8 bis 9 Uhr geläutet werden solle. Auch machte sie ein Vermächtniß, laut welchem dem Läuter jährlich ein Paar Schuhe und ein Taler bezahlt wird; und so ist es geblieben bis auf den heutigen Tag.
Als in dem ersten Zehntel dieses Jahrhunderts von der westphälischen Regierung die Stifter und Klöster aufgehoben und überhaupt alle Stiftungen nicht mehr geachtet wurden, da hörte auch das Läuten mit der Jungfer-Glocke auf, allein von dem Augenblicke an fing dafür der Geist der zürnenden Jungfer in der Lambertikirche zu spuken; wenn der damalige Läuter auf den Turm ging, bekam er rechts und links von unsichtbaren Händen Ohrfeigen und dies dauerte so lange, bis die alte Bestimmung wieder hergestellt wurde. Es soll aber die Jungfrau noch eine zweite silberne Glocke zum Andenken an ihre Rettung haben gießen lassen, welche in der Michaeliskirche hing, als aber im Jahre 1803 die Preußen in das Stift kamen, da haben sie letztere heruntergenommen und die kleinen Silbermünzen, welche das Volk Stiefelknechte nannte, daraus schlagen lassen.
Viermal im Jahre jagt der wilde Jäger im „Woole“ (Wald). Die Leute sind so daran gewöhnt, daß sie sich gar nicht mehr fürchten. Auch kann Einem der wilde Jäger nichts tun, wenn man an Gott denkt und ruhig seine Arbeit verrichtet; nur muß man nicht hinter sich und nicht über sich sehen. Es geht Einem übern Kopf weg wie ein Sturmwind vor dem Gewitter und dann ist wieder Alles totenstill.
Ein Junge aus Pettse* der noch spät im Holze Laub sammelte, war gar zu neugierig; er hatte gehört, daß man sich dreist nach dem wilden Jäger umblicken könne, wenn man durch einen Erbschlüssel** sehe. So hatte sich denn der Junge heimlich einen Erbschlüssel mitgenommen, und als es über ihm losging: „Giff, gaff! Hoho, hoho!“ da machte er das eine Auge zu und sah mit dem andern durch den Erbschlüssel in die Luft.
Was der Junge aber da gesehen, hat er sein Lebtag nicht verraten können, denn er war von Stund‘ an stumm und keine zehn Pferde hätten ihn wieder ins Holz gebracht. Auch wurde er auf einem Auge blind und fiel der Gemeinde zur Last.
* Petze = OT v. Sibbese ** alter, geerbter Schlüssel
Wenn der wilde Jäger durch die Luft fährt, so ruft er: Ho! Ho! Hu! Hu! So ruft es auch um Mitternacht auf dem Anger, der vom steilen Stieg nach Kloster Escherde führt. Darum meinen viele Leute, daß dort allnächtlich der wilde Jäger jage, aber die Sache verhält sich anders.
In meiner Jugend gab ein großer Stein, der dort auf dem Anger lag, die rechte Kunde von der armen Seele, welche da des Nachts heult und jammert. Ich weiß nicht, ob der Stein jetzt noch dort liegt, oder ob er „verkoppelt“ ist, denn heutzutage wird ja alles verkoppelt. Vor der westphälischen und hannoverschen Zeit aber hat der alte Brunotte, der boteweis nach Gronau ging, oft erzählt, was er Nachts bei dem Steine gehört und gesehen hat.
Da schwebte ein Mann ungefähr eines Fingers breit über der Erde weg um den Stein herum und jammerte so erbärmlich, daß es jedem, der es hörte, eiskalt über den Rücken lief.
Das war aber nun nicht der wilde Jäger, sondern ein Meineidiger, der in einem Prozesse, den die Gemeinde Escherde mit einer andern über Anger und Weide führte, falsches Zeugnis abgelegt hatte.
Es war nämlich streitig, ob die Stelle, wo später der Stein Gesetz wurde, Escherder Boden wäre oder nicht, und jener Zeige, der ein Feldgeschworener war und die Grenzen genau kannte, sollte die Sache durch Eid entscheiden. Der Unglücksmann aber ließ sich vom Bösen blenden, tat von einem Escherder Acker heimlich Erde in seine Schuhe, stellte sich auf die streitige Grenze und schwur, daß er hier auf Escherder Grund und Boden stehe.
Kaum aber hatte er den hinterlistigen Eid geschworen, als ihn der Zorn Gottes traf und er tot zusammenfiel.
Da offenbarte es sich bald, als man die Leiche und die Schuhe untersuchte, daß der Mann einen falschen Eid geschworen habe; die streitenden Parteien vertrugen sich und setzten zur Warnung und zum Andenken jenen Stein, den nun der Meineidige jede Nacht jammernd und gerade so hoch von der Erde umschwebt, als er auf Escherder Erde in seinen Schuhen gestanden hatte.
Vor vielen Jahren wohnte an der Ecke des Alten Marktes ein Schuster, der vor Hunger und Kummer weder aus noch ein wußte. Endlich faßte er den gottlosen Entschluß, einen Bund mit dem Teufel zu machen. Er stahl deshalb bei Nacht und Nebel von der Dombibliothek den Höllenzwang, der dort an einer großen Kette lag, und beschwor den bösen Feind. Dieser erschien auch bald und fragte nach seinem Begehr. Der Schuster sprach:“ Gib mir drei Himpten Geld, so will ich dir meine Seele verschreiben! Wenn du jedoch nach Jahresfrist wiederkehrst und findest, daß das ganze Geld nur zu einem Gott wohlgefälligen Zwecke angewendet ist, dann mußt du mir meine Seele lassen!“ Damit war der Teufel gern zufrieden, denn er dachte sich, daß der verhungerte Schuster sicherlich einen Teil des Geldes für seinen bellenden Magen und seine durstige Kehle verwenden würde.
Der Schuster aber war nicht auf den Kopf gefallen und dachte bei sich: „Hast du so lange in Hunger und Kummer gelebt, so wirst du es auch noch ein Jahr aushalten.“ Er trug also seine drei Himpten Geld zum Goldschmied und ließ ein großes silbernes Kreuz daraus machen; das nahm er mit sich nach Hause und erwartete nach Ablauf des Jahres ganz ruhig den Teufel.
Dieser blieb auch nicht eine Minute länger aus, war aber sehr erstaunt, als er den halbverhungerten Schuster noch ebenso wie vor einem Jahre in seiner ärmlichen Schusterstube den Pechdraht ziehen sah. „Was hast du mit dem Geld gemacht?“ fuhr ihn der Teufel an. – „Schau, Teufel dieses Kreuz!“ rief der Schuster aufspringend und hielt ihm das silberne Kreuz entgegen. Da zerschlug der Teufel bitter und böse ein Fach Fenster und fuhr fluchend davon.
Der Schuster aber lachte sich ins Fäustchen, ließ sein Kreuz wieder einschmelzen und war von nun an ein steinreicher Mann. Zum Dank für seine Erlösung aus des Teufels Kralle ließ er den Denkstein setzen, der noch heute das Schauteufelkreuz heißt.
Eine Straße in der Nähe des Dammtors heißt "der Stein". Man hat sie nach einem großen Stein so genannt, welcher an der Ecke dieser Straße seit uralten Zeiten liegt.
Einige sagen, ein Riese habe hier das "Sandkörnchen" aus seinem Schuh geschüttet, andere aber meinen, der Teufel hätte den gefährlichen Stein einst nach dem gegenüberstehenden Martini-Kirchturm geworfen und glücklicher Weise gefehlt.
An einem heißen Sommernachmittag kam einmal ein frommer Pater, der für sein Kloster gute menschen angesprochen hatte, mit seinem von milden Gaben schweren Sacke an der Domschenke vorbei und wollte eben in den "Huckedal" (Hückedahl) hinabsteigen, als er dachte: Du hast heute das deinige gethan, heiß ist es, durstig bist du, und der Wein erfreut des Menschen Herz, warum solltest du nicht einmal in der Domschenke vorkehren?
Gedacht, getan, der Pater trat in die kühle Schenke, und der Kellermeister beeilte sich, dem frommen Manne eine große Kanne Wein aus dem Fasse von Anno Eins vorzusetzen, dafür durfte er nichts zahlen.
Nun hatte der leidige Teufel dem frommen Vater schon lange am Zeuge flicken wollen, hatte ihn unter allerlei Gestalten in Dorf und Stadt versucht, aber vergebens; der gute Pater hatte überall die Hörner und den Pferdefuß durchblicken sehen und war ihm immer gleich mit Gebet und Kreuzzeichen über die Kappe gefahren.
Schon wollte sich der ärgerliche Teufel an eine andere Seele machen, als er den frommen Bruder in die Domschenke treten sah. Halt! dachte er, durstig bist du, trinken wirst du, und ich will dir helfen, daß du voll wirst, nachher wisch ich dir schon leichter eins aus. Schnell nahm der leidige Unhold eines Reiters Gestalt an und trat gestiefelt und gespornt in die Domschenke, grüßte den Pater ehrerbietig und setzte sich zu ihm an den Tisch.
Der gute Pater erkannte den Erzfeind, dessen Kopf in einem großen Federhut und dessen Füße in ungeheuren Kourierstiefel (Reitstiefel) steckten, diesmal wirklich nicht, er lobte den Wein und der Reiter ließ sich auch eine Kanne bringen. Darauf erzählte der Reiter von seinen Kriegsläuften (Kriegszeiten), und der Pater dachte nichts Arges, stieß mit dem fremden Herrn an und beiden wurde es beim Plaudern und Trinken wunderbar fröhlich und juchheilig um's Herz. Als eine Kanne leer war, brachte der Kellermeister eine zweite und dritte.
Da sprach der Pater goldene Worte über die schöne Gottesgabe und meinte, solch ein Trank müsse doch selbst dem Bösen das Herz weich machen und zur Dankbarkeit gegen Gott wenden. "Ja, hast recht Glatzkopf", seufzte der Teufel auf, "wenn ich noch länger trinke, so zerschmilzt mir dieser Wein meines Herzens eisernen Berg!"
Damit schlug er vor dem zu Tode erschrockenen und sich bekreuzenden Pater den Deckel der Kanne zu, daß der Abdruck aller fünf Krallenfinger darin sitzen blieb, wischte sich über Augen und Schnauze und fuhr zum Fenster über der Tür hinaus, ohne wie sonst bei seinen Ausfahrten Stank oder Unflath zu hinterlassen.
Auch konnte das zerbrochene Fenster wieder ausgebessert werden, woraus zu ersehen, daß der weinselige Teufel diesmal nicht im Bösen ausgefahren war.
Am Dome sieht man an einem Mauerstein ein eingebranntes Horn, das kommt von dem horchenden Teufel.
Ein frommer Predigermönch predigte nämlich "ganz vor diesem" gewaltiglich gegen den Bösen und deckte alle seine Tücke auf. Als das dem Teufel hinterbracht wurde, wollte er sich selbst überzeugen, lehnte den Kopf an die Mauer, um zu horchen, und hörte wie jeder Horcher an der Wand "seine eigene Schand'". Er mußte aber den frommen Mönch wohl lassen und fuhr mißmutig davon.
Als Wahrzeichen seiner Spioniererei sitzt nun der Abdruck seines glühenden Horns noch heute in dem Steine.
Vor vielen, vielen Jahren hieß es einmal, im Finkenberge hielte sich ein Wolf auf. Da nahmen die Bürger aus der Stadt die Gewehre, um den Wolf zu schießen; sie jagten und jagten, aber es ließ sich kein Wolf sehen, drum glaubte man, daß es nur so ein Geschwätz gewesen wäre und ging zu Hause.
Schon am anderen Morgen aber kam die Nachricht in die Stadt, daß der Wolf auf dem Moritzberge in einem Schafstall gebrochen sei und die Schafe zusamt den Schäfer erwürgt habe. Nun umstellte man das ganze Holz, durchsuchte jeden Busch, aber umsonst.
Da schüttelte ein alter Jäger, „der mehr als Brot essen konnte“, bedenklich den Kopf und meinte, das ginge nicht mit rechten Dingen zu, der Wolf müsse ein Werwolf sein, gegen den könne kein Jagen helfen, aber man solle ihn nur machen lassen. Die Leute waren gern mit dem zufrieden, was der Jäger tun wollte, und dieser stellte nun eine Falle auf, in welche er drei ganz kleine Kreuze von Osterholz versteckte.
Als man am anderen Tage nachsah, war die Falle richtig zugeschnappt, und was saß darin? Ein „versoffener“ Schneider vom Moritzberg. „Nun wahr‘ dich, du Werwolf!“ rief der alte Jäger, warf dem Bösewicht einen Zaum über den Kopf und schleppte ihn zum Galgen. Das Volk jubelte, als man den Bösewicht aufzog; aber bald verkehrte sich sein Jubel in Staunen und Verwunderung, mit offenen Mäulern guckten und guckten die Leute nach dem gehenkten – doch da hing im Galgen weder ein Wolf noch ein Schneider, sondern ein Bund Stroh.
Es ist noch heutzutage kein Ort in der Stadt, wo es nachts so still und grausig wäre, als bei der Pagelskirche (St. Paulikirche); in früheren Zeiten ist das aber noch viel schlimmer gewesen, denn damals war dicht bei der Kirche, wo jetzt Götting’s Garten ist, der Kirchhof, und dicht am Kirchhof hin, gerade dem Kapuzinerkloster gegenüber, mußte man durch die enge, düstere Petersilienstraße. Was ist hier nicht alles gesehen und gehört!
Das schlimmste von allen aber war die gläserne Kutsche, welche Nachts um die zwölfte Stunde aus dem Pfaffenstiege kam, vom Pfaffenstiege über den Bohlweg durch die Kreuzstraße und den alten Pulverturm rollte und endlich vor der Petersilienstraße anhielt. Da hat mancher Nachtwächter und manche Frau, die auf’s Waschen ging, etwas gesehen, was sie in ihrem Leben nicht wieder sehen mochten. Aus der Kutsche stiegen nämlich stumm und still mehrere Leute in altfränkischer Tracht und setzten auf die niedrige Kirchhofsmauer eine Mulde, in welcher ein blutendes Kind lag. Ein Messer stak dem Kinde aufrecht in der Brust. Im Umsehen stand auch ein Galgen da.
Die stummen Leute ergriffen eine händeringende Frau, welche mit der Kutsche gekommen war, und hingen sie an den Galgen, gerade über der Mulde, in welcher das Kind lag, auf.
Sobald dies geschehen war, stiegen die Leute wieder ein, die Kutsche fuhr davon, und wie das rollen der Räder in der Ferne nach und nach verhallte, so zerfloss auch der Galgen und verschwand die Mulde von der Mauer.
Viermal im Jahre fährt der wilde Jäger in einer glühenden Kutsche, Nachts Schlag zwölf Uhr, durch das Goschentor auf den Neustädter Markt , wo er verschwindet. Die Pferde vor der Kutsche speien Feuer und Flammen und auch der Kutscher auf dem Bocke ist ein ganz glühender Mann, der links und rechts mit der Peitsche, aus welcher die Funken stiegen, um sich schlägt. Neugierigen, welche aus den Fenstern sehen, schlägt er die Augen aus.
(I) Am Hagentor standen früher die Steinbilder von Prallas und Kattenbrak. Prallas war ein Bürgermeister in Hildesheim gewesen und hatte mit seinem Spießgesellen Kattenbrak die Stadt verraten und den Feind zum Hagentor einlassen wollen. Die Verräter aber wurden an ihrem bösen Vorhaben gehindert und zur Strafe in eisernen Körben am Tore aufgehängt, wo sie sterben und verderben mußten. Als sie nun gestorben waren, stellte man zum ewigen Gedenken der Verräter ihre Steinbilder auf der Stadtmauer am Hagentor auf. Da stand sie Jahrhunderte lang und wurden von den Kindern mit Steinen geworfen. Auch ließen sie, solange die Bilder standen, jedesmal am Karfreitags-Mittag die Kinder der ganzen Stadt vor dem Hagentor zusammen; denn dann, hieß es, würden die Steingebilde Schlag zwölf Uhr auf eines Hahnenschreis Länge lebendig und kehrten ihre sonst abgewandten Gesichter der Stadt zu.
(II) Ein ganz anderer Mensch als dieser Verräter Prallas war der gute Top, dessen Steinbild in einer Mauerniesche am Hagentor stand. Dieser Top war eines Büchsenmeisters Junge gewesen und hatte bei einer grausamen Belagerung den Stadtverteidigern mit größter Lebensgefahr so fleißig Kanonenkugeln zugereicht, daß es endlich gelang, den stürmenden Feind abzuschlagen. Zum ewigen Gedenken steht noch heute das Standbild des kleinen Top im Garten des Arneken-Hospitals. (Bild)
Text-Quelle:
- Literatur
Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des Preußischen Staates, Band 2, Glogau 1868/71, S. 894-895
Zwei Männer aus Himmelsthür wollten auf dem Krehla einen Schatz heben. Sie verabredeten sich, drei Tage zu fasten und dann Nachts 12 Uhr, ohne ein Wort zu sprechen, an's Werk zu gehen.
So hielten sie's nun auch und fingen Punkt 12 Uhr an der Stelle, wo sie den Schatz hatten brennen sehen, zu graben an. Da kam ein Mann daher, der den Kopf unterm Arm trug, stieß den einen der Schatzgräber beinahe um und sagte: „Gun Abend ok!“ (Guten Abend auch) Die Leute antworteten aber nicht und arbeiteten weiter. Richtig stießen sie bald auf den Deckel einer eisernen Kiste und aus der Kiste sprach es: „Wollt ihr Silber oder Gold?“ Die Männer antworteten aber wieder nicht und hoben die schwere Kiste mehr und mehr aus der Tiefe. Da kam es den Berg herauf gelaufen wie ein Regiment Mohren, die schrieen: „Platz da, Platz, wenn euch euer Leben lieb ist!“ Die Schatzgräber rührten sich aber nicht von der Stelle und das ganze Heer ging ihnen wie ein Nebel über den Köpfen weg. - „Sau Düwel nu kannst du deck wat braen laten!“ (So Teufel nun kannst du dir was braten lassen) rief in unmäßiger Freude der eine der Schatzgräber und in demselben Augenblick versank der Schatz in eine bodenlose Tiefe.
Hätte der Mann nur noch ein paar Minuten geschwiegen und es Eins schlagen lassen, so wäre der Schatz gewonnen gewesen.
Wer die Kunst versteht, kann ein Gespenst „abbinden“.
Eine Frau wurde in ihrem Hause von einem schrecklichen Gespenste hart geplagt. Nachts kam es mit verbundenem, blutigen Kopfe vor ihr Bett und hob wie zum Schlagen die knochendürre Hand auf. Dann schrie die Frau immer so, daß die Nachbarn aus dem Schlafe fuhren, jämmerlich: „Et is der allweer, Et is der allweer!“ („Es ist allwieder da“).
Man versuchte alle Mittel das „Unding“ zu bannen, aber Nichts wollte anschlagen. Da kam ein gelehrter Kapuziner vom Eichsfeld, der besah sich alle Winkel im Hause, schlug in einem großen Buche nach und sagte, aus dem Hause könne er den Geist nicht bringen, aber aus der Kammer sollte er schon wegbleiben die Frau, sollte nur vor dem zu Bettgehen nie vergessen, das Kammertürschloß mit ihrem Strumpfbande zuzubinden. Das tat die Frau und das Gespenst kam nicht wieder in die Kammer. Draußen aber konnte es so viel poltern als es wollte, das wurde die Frau gewohnt.
Am Rathause in Hildesheim finden sich auf der Seite nach der Marktstraße zu die Worte eingehauen: „Dat is de Garen mate“(„Das ist das Garnmaß“). Daran hat ein geiziger Kaufmann Schuld, der einen großen Garnhandel hatte und die Leute übervorteilte. Kaufte er den armen Leuten ab, so konnte er das Maß nicht groß genug kriegen, verkaufte er aber, so verkürzte er das richtige Maß.
Als dieser Kaufmann gestorben war, trat er seiner erschrockenen Frau Nachts vor das Bett, klagte und jammerte, daß er so viel Pein in der Hölle leiden müsse, weil er immer unrichtig gemessen habe und warf eine eiserne Elle mit den Worten auf den Tisch: „Dat is de Garen Mate“. Dann ermahnte er die Frau, doch ja nach diesem richtigen Maße immer zu kaufen und zu verkaufen, damit es ihr dereinst nicht gehe wie ihm. Darauf verschwand der Mann und die Frau hatte vor Schrecken beinahe den Tod. Am anderen Morgen fiel ihr erster Blick auf den Tisch auf welchen ihr unseliger Mann die Elle geworfen hatte. Aber es war keine Elle zu sehen, statt dessen sah die Kaufmannsfrau eine ellenlange Ritze im Tische, als ob sie hineingebrannt wäre; dieselbe Ritze ging auch unterm Tische durch den Fußboden und durch alle Decken des Hauses bis auf die Diele, wo sie so tief eingebrannt war, daß man den Grund nicht sehen und auch mit dem längsten Stocke nicht fühlen konnte.
Die Frau konnte in ihrer Seelenangst die Geschichte nicht verschweigen und als der Magistrat die Sache erfuhr, ließ er von einem Rathausdiener die Länge der eingebrannten Ritzen messen und diese stimmte genau mit dem gebräuchlichen, richtigen Garnmaß. Da ließ der Magistrat zur ewigen Warnung jene Worte in einen Stein der Rathausmauer hauen.
Auf dem Moritzberg soll eine alte Volksburg mit einem heidnischen Quellheiligtum, das dem Gott der Langobarden Ziu geweiht war. Am Fuße des Berges lag die zugehörige größere Siedlung mit dem Herrenhof. Volksburg, Herrenhof und Siedlung gehören nach dem wichtigsten Ergebnis der Burgenforschung immer zusammen.
Um die Mitte des 6. Jahrhunderts wurde über dem Ziu-Heiligtum ein christlicher Taufbrunnen errichtet. Unmittelbar im Osten wurde ein kleines Oratorium angefügt. die Anlage war aus Holz (more Scottorum) erbaut. Die geistliche Stiftung entwickelte sich zum Kloster weiter.
Von dieser christlichen Zelle ging die Entstehung der Stadt Bennopolis aus, das zum Schutze der jungen Kirche im Jahre 577 gegründet wurde.
Diese Behauptung, Hildesheim habe im Jahr 577 Bennopolis geheißen, ist nicht haltbar, da der Zusatz in einer Pariser Handschrift offensichtlich gefälscht ist!!
Text-Quelle:
- Literatur
Festschrift zum Katholikentag der Diözese Hildesheim am 10.9.1950