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Auf der Kesselei (Keßlerstraße), nicht weit vom Kehrwieder, wohnte vor diesem ein armer Student mit seiner Mutter und seiner Schwester.
Diesem erschien auf der Diele am hellen Mittag eine in aschgrau gekleidete Frau mit schwarzer „Plätjemütze“ und weißem Bande daran. Die Frau forderte den Studenten auf, es doch so einzurichten, daß am folgenden Tage mittags um zwölf Uhr seine Angehörigen nicht zu Hause seien, sie habe ihm etwas zu vertrauen, das auch zu seinem Besten dienen sollte. Im Umsehen war die Frau fort.
Das nahm sich der Student zu Herzen, ging früh am anderen Morgen zu den Kapuzinern, beichtete und kommunizierte, und sein Beichtvater sagte ihm, was er zu tun habe, wenn die Frau wieder käme.
Mittags um zwölf Uhr erschien dem Studenten die Frau richtig wieder und gab ihm einen Auftrag, den sonst keine Menschenseele weiter erfahren durfte. Die Frau hatte dem Studenten einen schweren Eid abgenommen, Zeit seines Lebens von dem Auftrage zu schweigen, und ihn zuletzt noch aufgefordert, ihr seine Hand zur Bekräftigung des Schwures zu reichen. Der Student aber war nicht umsonst bei seinem Beichtvater gewesen und reichte statt seiner Hand ein Taschentuch hin; kaum hatte die Frau das Tuch berührt, so loderte es in Flammen auf und – weg war die Frau.
Der Student vollzog getreulich den geheimen Auftrag, und die Leute sagten, daß er zur Belohnung dafür in das Marienroder Kloster aufgenommen sei, das jedoch bald darauf aufgehoben wurde.
Nachher ist der Mann noch lange Zeit Schullehrer in Dingelbe gewesen.
Im Pfaffenstiege sah man früher an einem hause eine steinerne Hand, welche eine kleine, steinerne Säule umfasst hielt. Das bedeutete die abgehauene Hand eines Falschmünzers, der vor vielen hundert Jahren in diesem Hause sein Wesen getrieben.
Mancher, wenn er nachts durch den Pfaffenstieg gekommen ist, hat diese Hand und diese Säule in feuerrotem Scheine glühen sehen.
Jedesmal auf den Tag nämlich, an welchem der Falschmünzer seine Strafe erlitten, erglühte die Hand um Mitternacht.
An einem anderen Hause im Pfaffenstiege sah man eine hölzerne Hand, welche ein Streichmaß (Scheffel) hielt.
Das war die verdorrte Hand eine Kornwucherers, welcher bei einer Teuerung armen, hungernden Leuten gegenüber seine Hand zum Fenster herausstreckte und geschworen hatte, daß er kein Korn mehr habe; die Hand sollte ihm gleich verdorren, wenn er mehr im ganzen Hause habe, als man von einem vollgeschütteten Himpten streichen könne.
Kaum hatte der Bösewicht, der alle Kammern und Böden voll hatte, das Wort gesagt, als ihm Arm und Hand verdorrten.
Wenn Kinder ihre Eltern geschlagen haben, so wachsen ihnen nach ihrem Tode die Hände aus den Gräbern.
Darum sah man vor vielen Jahren, als der Lamberti-Kirchhof noch ein Totenhof war, aus einem der dortigen Gräbern eine Hand von einem dort begrabenen Manne hervorragen, der einst bei Lebzeiten seine Mutter geschlagen hatte.
Der Magistrat befahl dem Scharfrichter, die tote Hand abzumähen, dies geschah, aber die Hand wuchs wieder; es geschah zum zweiten und dritten Male, doch die Hand wuchs immer wieder.
Als das die noch lebende Mutter hörte, weinte sie bitterlich und bat im heißen Gebete Gott, daß er ihrem Sohne vergeben möge, sie habe ihm schon längst seine Unbesonnenheit verziehen. Da sprach’s zu der Frau im Traume, daß sie um Mitternacht auf en Kirchhof gehen und die tote Hand zum Zeichen ihrer Versöhnung erfassen solle.
Aus Mutterliebe überwand die Frau ihre Furcht vor dem schrecklichen Gang, ging um Mitternacht an das Grab, erfasste die Hand und sprach es laut aus, daß sie ihrem Sohne längst verziehen habe.
Da fühlte sie einen warmen Druck, wie von einer lebendigen Hand, und dann war die Hand für immer verschwunden.
Auf dem Berge von Ochtersum nach dem Heidekrug sieht man auf einem kleinen Hügel des Steinberges dreizehn kleine Bäumchen ganz einsam und verlassen stehen.
Sie sehen recht klein und kümmerlich aus, haben schon seit Menschengedenken so ausgesehen und wollen nimmer recht gedeihen.
Diese Bäume hat nämlich ein Räuberhauptmann mit seinen zwölf Gesellen als Zeichen und Bekräftigung des Bündnisses gepflanzt.
Wer des Nachts nichts im letzten (III.) Rosenhagen zu tun hat, bleibe da weg, denn es hat dort an der Mauer schon mancher etwas gesehen, was er in seinem Leben nicht wieder sehen möchte.
Nachts zwischen zwölf und eins geht dort eine Jungfer in ganz altfränkische Tracht und mit einem langen, pechschwarzen Bart. Jedem, der ihr begegnet, hält sie an, stößt einen Seufzer aus, der einem durch Mark und Bein geht, und spricht die dumpfen Worte: „man nur einmal in der Welt!“ – dann aber fällt sie in ein Lachen, welches gräulicher klingt als alles Heulen und Geschrei der ärgsten Verzweiflung.
Die Alten wollen wissen, daß dieses Gespenst der Geist einer sehr schönen, aber unseligen Jungfrau sei, welche ganz vor diesem mit ihrer frommen, gottesfürchtigen Mutter im Rosenhagen lebte.
So gottselig und fromm die Mutter dachte, so weltlich und leichtsinnig dachte die hübsche Tochter, ging tagaus tagein mit jungen Gesellen zu Spiel und Tanz und machte ihrer alten Mutter nur Kummer und Sorgen. Wenn die fromme Frau der ungeratenen Tochter Vorwürfe machte, so hatte diese immer nur das eine Wort darauf: „man lebt nur einmal in der Welt!“
Die Mutter war von Herzen betrübt und nahm, da keine ihrer Ermahnungen helfen wollte, ihren Beichtvater in Rat. Der sagte, sie sollte einmal neun Tage hintereinander die heilige Kümmernis um Hülfe anrufen, die würde schon Rat schaffen.
Das tat die Frau, aber die Tochter war die neun Tage über noch ausgelassener als je zuvor, so daß die alte Frau beinahe an der heiligen Kümmernis verzweifelte. Doch nahm sie am letzten Tage, als die Tochter gerade wieder zum Tanz gegangen war, ihr Herz noch einmal recht zusammen und flehte zu der Heiligen, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen.
Die Mutter hatte ihr heißes gebet noch nicht beendigt, als die Tochter singend und springend in die Stube stürmte. „Jesus, Maria und Joseph!“ schrie die Mutter auf, „du gottloses Kind, nun bist du wieder auf einer Mummerei (Kostümball) gewesen und schämst dich nicht einmal, mit einer schändlichen Larve (Maske) und einem langen Kapuzinerbart durch die Straßen zu laufen!“ „Mutter, Sie ist wohl nicht recht klug,“ sagte die Tochter, „ich habe mich ja nicht vermummt und komme, wie ich gegangen bin, vom lustigen Tanze; man lebt nur einmal in der Welt!“ „So sieh doch mal in den Spiegel, du Unband!“ rief die Mutter wieder und hielt der Tochter den Spiegel vor.
Aber die Tat einen Schrei, als sie ihr Gesicht in dem Spiegel sah, denn dasselbe war hässlich geworden wie die Nacht, und ein langer , pechschwarzer Bart hing zottig an dem früher so glatten, hübschen Kinn. Da half kein Schreien und Jammern, kein Waschen und Rasieren; der Bart blieb ihr in dem hässlichen Gesicht, und die jungen Gesellen, welche sie früher so gern zum Tanze aufgezogen hatten, flohen jetzt vor ihr wie die Kinder vor dem Busemann (Kinderschreckfigur).
Die heilige Kümmernis, die ja selbst durch einen Bart vor Sünde und Schande bewahrt wurde, hatte die Sünderin, um sie auf andere Wege zu bringen, mit dem Barte beschenkt. Aber anstatt daß diese ungeratene Tochter sich nun gebessert hätte, fiel sie aus Schmerz über den Verlust ihrer Schönheit in ein Wüten und Rasen und starb in Verzweiflung mit dem lästerlichen Worten auf den Lippen: „Man lebt nur einmal in der Welt!“
Jetzt bereut sie nun schon ein paar hundert Jahre diese Lästerung und hat es zu ihrem und aller Welt Schrecken erfahren müssen, daß man nicht einmal, sondern zweimal lebt.
Der Herr behüte uns in Gnaden!
Am Steine wohnte ein Bäcker, dessen Tochter täglich den Mönchen im Martini-Kloster das nötige Brot bringen mußte. Andere sagen, sie habe Gahre (Hefe), noch andere, sie habe Milch hingebracht. Kurz und gut, das Mädchen ging eines Tages ins Kloster und kam nicht wieder zurück.
Im Kloster wurde nach dem Mädchen gefragt, aber es hieß, sie sei längst wieder weggegangen, auch alles andere Suchen und Nachfragen half nichts. Da dachte man, das Mädchen sei wohl in die Innerste gefallen, und vergaß es nach und nach. –
Einige Jahre waren schon seit dem Verschwinden des Mädchens vergangen, da begab es sich, daß am Vorabend eines großen Festes ein alter Mann in die Martini-Klosterkirche gegangen und dort eingeschlafen war. Lange mochte er so in einem Beichtstuhl gesessen und geschlafen haben, als ihn Geräusche erweckte; die Zwölfe erdröhnte vom Turme und zugleich hörte er einen feierlichen Chorgesang. Die Kirche wird hell und aus der Tür, welche vom Klostergang in die Kirche führte, sieht er die Mönche in Prozession mit Lichtern einherschreiten; in ihrer Mitte führen sie ein weißgekleidetes Mädchen, welches ein Kind auf dem Arm trägt und jämmerlich um Erbarmen fleht.
Die Mönche aber führen das Mädchen mit dem Kinde vor den Altar, heben dort einen beweglichen Leichenstein auf, stürzen das Mädchen samt dem Kinde in das offene Grab und verschließen dasselbe wieder mit dem schweren Steine. Darauf ziehen sie singend und in Prozession wieder in das Kloster zurück. – Der Mann hatte in größter Todesangst alles unbemerkt gesehen.
Früh am anderen Morgen, als die Kirche geöffnet wurde und die ersten Beter kamen, schlich sich der Mann davon und zeigte den Gräuel dem Magisterrate an. Der ließ das Kloster sofort mit Stadtsoldaten umstellen, aber die Mönche hatten Wind bekommen und waren über die Innerste entflohen, nur einer, welcher auf der Flucht ein Bein gebrochen hatte, fiel in die Hände der Gerechtigkeit. Von den übrigen hat man niemals weder etwas gehört noch gesehen.
Als man nun den von dem Zeugen bezeichneten Stein vor dem Altar aufhob, erkannte man in der Leiche, welche ein totes Kind im Arme hielt, die vor Jahren verschwundene Tochter des Bäckers.
Das Kloster wurde aufgehoben.
Eine arme Tagelöhnerfrau, die „nicht gut was liegen lassen konnte“, hatte sich „Sprigholz“ im Itzumer Holze gesucht und kam mit ihrer Tracht spät Abends zurück.
Schon als sie beim „Lichtenpahl“ angekommen war, sah sie von fern auf einem Grabstakette (Staketenzaun) des Neustädter Kirchhofes ein weißes Laken schimmern. Ei, denkt die Frau, das hat gewiß jemand beim Trocknen hängen lassen, das kommt dir zu gute. Sie nimmt richtig das Laken mit und legt es, ohne ihrem Manne etwas davon zu sagen, in die Kammer.
Um Mitternacht, als sie bei ihrem Manne und mitten unter ihren Kindern schlief, wird sie aufgerüttelt und eine drohende Stimme ruft ihr zu: „Min Laken! Min Laken! Min Laken!“ Die Frau ist halbtot vor Schreck und rührt sich nicht. Da ruft es zum zweiten Male, und als die Frau noch keine Anstalt macht, das Laken zurückzugeben, da ruft es zum dritten Male mit so schrecklicher Stimme, daß die Frau zitternd und bebend aufspringt, das Laken ergreift und es in die Ecke wirft, aus welcher die Stimme kam. Aber die Stimme ruft noch drohender als zuvor: „Hoir hebbe et niks verloren, bring‘ et hen, wo et herekommen is!“ (Hier hat es nichts verloren, bring es hin, wo es hergekommen ist).
Da macht sich die Frau, während ihr Mann und ihre Kinder in festem Schlafe bleiben, auf und trägt das Laken wieder zum Kirchhofe auf das Grabstakett. Indem sie es aber wieder an seinem Ort hängt, kriegt sie eine Ohrfeige, daß ihr Hören und Sehen vergeht. Als sie endlich wieder zu sich kam, eilte sie krank nach Hause und starb drei Tage darauf, nachdem sie ihrem Manne zuvor erzählt hatte, was ihr begegnet war.
Im Dom zu Hildesheim sieht man über einer der nördlichen Eingangstüren ein schauerliches Gemälde; ein Geistlicher im bischöflichen Gewande steht predigend auf einer Kanzel und ringsumher erheben sich die in der Kirche begrabenden, fleischlosen und halbverwesten Toten aus den Gräbern. – Was da Bild erzählt, ist wirklich einmal in der Kapelle zu Lucienvörde geschehen.
Ein frommer und heiliger Bischof von Hildesheim hatte vor seinen aufrührerischen Untertanen aus der Stadt flüchten müssen. In dem benachbarten Kirchlein zu Lucienvörde suchte er Schutz vor den Verfolgern und bestieg die Kanzel um die nachdrängenden Rebellen noch einmal eindringlich von ihrem Tun abzumahnen. Die Rebellen aber richteten ihre Gewehre auf den heiligen Mann, und da dieser unter den Lebenden keinen sah, der zu seiner Hilfe bereit war, so rief er: „Ihr Toten, steigt aus euren Gräbern und steht mir bei!“
Kaum war das Wort gesprochen, da tat Gott ein Wunder, und zum Grausen der bösen Verfolger erhoben sich unter ihren zitternden Füßen die Grabsteine, und drohend streckten sich fleischlose Arme den Rebellen entgegen. Da flüchteten diese eilends aus der Kirche, baten unter vielen Tränen den Bischof um Verzeihung und führten ihn im Triumph in die Stadt zurück.