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An einem Hause im Pfaffenstieg sah man früher eine steinerne Hand, welche eine kleine, steinerne Säule umfaßt hielt. Das bedeutete die abgehauene Hand eines Falschmünzers, der vor vielen hundert Jahren in diesem Hause sein Wesen trieb.
Mancher, der Nachts durch den Pfaffenstieg kam, hat diese Säule und diese Hand in feuerrotem Scheine glühen sehen. Jedesmal auf den Tag nämlich, an welchem der Falschmünzer seine Strafe erlitten, erglühte die Hand vor Mitternacht.
An einem andern Hause im Pfaffenstieg sah man eine hölzerne Hand, welche ein Streichmaß hielt. Das war die verdorrte Hand eines Kornwucherers, welcher bei einer Teuerung armen hungernden Leuten gegenüber seine Hand zum Fenster herausgestreckt und geschworen hatte, daß er kein Korn mehr habe, "die Hand solle ihm gleich verdorren, wenn er mehr im ganzen Hause habe, als man von einem vollgeschütteten Himpten streichen könne". Kaum hatte der Bösewicht, der alle Kammern und Böden voll hatte, das Wort gesagt, als ihm Arm und Hand verdorrten.
Text-Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des Preußischen Staates, Band 2, Glogau 1868/71, S. 897
Zu den Wahrzeichen der Stadt Hildesheim gehört auch der schnappende Judenkopf über der Uhr des Rathausturms.
Dieser Kopf sitzt dort zum Andenken an einen Juden, welcher einst die Stadt verraten wollte, jedoch an seinem bösen Vorhaben verhindert und auf dem Rathause eingekerkert ward, wo man ihn dann in seinem Gefängniß Hungers sterben ließ.
Früher zeigte man auch auf dem Rathause ein Brett, welches das Luftloch eines Kerkers schloß; das Brett war aufwendig mit einem wohlgestalteten Judenkopf bemalt, auf der nach dem Kerker zugewendeten Seite aber zeigte es das gräßlich verzerrte Gesicht des verhungerten Juden.
Text-Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des Preußischen Staates, Band 2, Glogau 1868/71, S. 899
I.
Wenn man an der Innerste aufwärts von Hildesheim nach Marienburg geht, findet man etwa auf der Hälfte des Weges eine Höhle, welche das Zwergsloch heißt. In diesem Loche hatten die Zwerge sonst ihre Schmiede, davon ist es auch heutigen Tages noch so schwarz, sie schmiedeten aber nichts als Gold und Silber darin, und wenn sie fleißig arbeiteten, so wuchs von der Hitze unten auf den Feldern das Korn über dem Zwergsloch so, daß es eine Pracht zu sehen war. Weil aber die Zwergenkinder immer in die Erbsen gingen und die grünen Schoten stahlen, hat der Magistrat von Hildesheim die Zwerge verjagt, man weiß aber nicht, ob sie ganz fortgezogen sind, oder sich nur tiefer in die Erde verkrochen haben. Das Zwergsloch geht nämlich ein Paar Meilen weit unter der Erde weg. Die alten Leute erzählen, es habe einen Ausgang an dem sogenannten Knebel.
An einem Pfingstmorgen sind auch einmal mehrere Jungen bei diesem Knebel in die Erde gestiegen und nach langer Wanderung zum Zwergsloche wieder herausgekommen. Als sie aber aus dem dunkeln Loche in den hellen Sonnenschein traten, blickten sie sich ganz verwundert einander an, denn sie waren alte Männer mit langen, greisen Bärten geworden. Als sie nun vor die Stadt kamen, wollte sie der Torwächter nicht einlassen, denn sie sahen ihm gar zu abgerissen aus, und als sie ihre Namen nannten und nach ihren Angehörigen fragten, sagte der Torwächter: "Ihr scheint mir Erzvagabunden und Schelme zu sein, denn die Leute, von denen Ihr sprecht, sind längst begraben, als ich noch ein kleiner Junge war!" Da weinten die Wanderer bitterlich, kehrten wieder um und man sagt, sie sind wieder ins Zwergsloch gegangen und wohnen noch darin.
II.
Einst kam ein Musikant, der zu einer Kindtaufe auf der Mordmühle gewesen war, spät in der Nacht mit seiner Geige am Zwergsloche vorüber. Da sah er im Mondschein an dem Brinke vor dem Zwergsloche etwas Lebendiges sitzen. Der Musikant dachte, es wäre ein Räuber und fürchtete sich sehr, er wollte aber nicht merken lassen, daß dies der Fall sei, und schrie so laut als er nur konnte: "Heda, guter Freund, woher so spät noch? wollt Ihr auch noch in die Stadt? Kommt mit, in Gesellschaft wandert es sich besser." – "Gut, Du sollst Gesellschaft haben", versetzte das lebendige Ding und als es der Musikant nun recht besah, da war es ein uralter Mann, nicht höher als eine Elle. Da sagte der Musikant, der da dachte, mit so einem kleinen Manne könne er leicht fertig werden: "Du Knirps, was treibst Du Dich hier noch so spät herum und machst die Leute zu fürchten, mache daß Du in Dein Loch kommst, sonst sollst Du sehen, was geschieht!" Da antwortete der Andere: "Elender Erdenwurm, was unterstehst Du Dich, jetzt sollst Du Dir das Loch selbst ansehen!"
Kaum hatte der Zwerg das Wort gesprochen, so fühlte sich der Musikant auch von unsichtbaren Händen gepackt und aufgehoben, er mochte sich noch so sträuben, er mußte mit hinein in das Zwergsloch und so ging es viele Meilen mit ihm tief unter der Erde fort. Da fing er an klein zuzugeben und bat die Zwerge weh- und demüthig, sie sollten ihm doch seine Frechheit verzeihen, er sei ja doch nur ein armer Spielmann, der eine Frau und neun lebendige Kinder zu ernähren habe. Der alte Zwerg versetzte: "Es ist Dein Glück, daß Du Dein Unrecht einsiehst, darum soll Dir verziehen sein, Du sollst sogar noch Gewinn haben, wenn Du von dem, was Du siehst, reinen Mund halten wirst". Natürlich versprach der arme Kerl Alles zu tun, was die Herrn Zwerge verlangten und so kamen sie denn an ein großes Tor, vor dem ihn seine unsichtbaren Träger absetzten. Dasselbe öffnete sich und er sah sich in einer großen Halle, deren Wände von Gold und der Fußboden von Silber war und in der der Glanz der Edelsteine, welche von der Decke herunterglänzten, das Licht von tausend Kerzen vertrat.
Die Halle schien aber ganz leer, er sah Niemanden als den alten Zwerg darin. Dieser aber hieß ihn nach einem Throne, welcher am Ende der Halle stand, hingehen und dort seine besten Stücke aufspielen. Dies tat er auch, er spielte einen Tanz nach dem andern, er hörte auch, wie in die Hände geklatscht wurde und wie unsichtbare Füße in der Halle herumtrampelten, aber er sah keinen Tänzer. Da faßte er sich Mut und sagte zu dem alten Zwerg, "ob er denn nicht einmal die Herren und Damen sehen könne, welchen er aufspielen müsse"? – "O ja", antwortete dieser, "das will ich schon möglich machen, setze einmal meinen Hut auf"! Kaum hatte er aber den großen runden Hut auf den Kopf gesetzt, als er Tausende von ellenlangen geputzten Männchen und Weibchen erblickte, darunter Kinder nicht größer als sein Daumen. Die kamen nun alle lachend und in die Hände klatschend auf ihn los, sprangen ihm auf den Nacken, zupften ihn bei den Ohren und bei der Nase und schleppten ihn unter großem Gelächter im Saal herum. Der Musikant lachte mit und jubelte, vorzüglich als man ihn an eine gedeckte Tafel führte, auf welcher Braten und Kuchen, Aepfel, Birnen und Nüsse in goldenen Schalen standen. Die Braten und Fische waren aber alle sehr winzig, so lag z. B. ein ganzer gebratener Ochse in einer Schüssel, der war aber nicht größer als ein Lamm. Nur die Weinflaschen und das Obst hatten die gewöhnliche Größe, denn Wein und Obst haben die Zwerge nicht selbst, sondern stehlen es erst den Menschen.
Der Musikant machte sich nun sofort an die Speisen und die Zwerge wunderten sich nicht schlecht, als dieselben schnell unter seinen gierigen Zähnen verschwanden, dazu schenkten sie ihm tüchtig Wein ein und der alte Zwerg hieß ihm sich die Taschen voll Äpfel und Nüsse stecken und half ihm selbst die Taschen füllen. Schließlich aber wurden ihm die Beine und Zunge schwer und als die Zwerge mit ihm tanzen wollten, fiel er um. Mühsam richtete er sich wieder auf, es war Morgen, die Sonne schien, er aber war nicht mehr in dem gold- und silberstrahlenden Saale, sondern er sah weiter nichts als den grünen von Steinen übersäten Brink, auf welchem er vor dem Zwergsloche saß, und zu seinen Füßen die Innerste mit ihren grünen Wiesen. Vor ihm aber stand ein Schäfer mit einer großen Heerde, der hatte ihn mit dem Fuße angestoßen und aus dem Schlafe geweckt. Der Schäfer aber, der ihn spöttisch fragte, wie er hierher komme und warum er an diesem kalten Orte die Nacht zugebracht habe, trug die Gesichtszüge des alten Zwerges.
Es lief dem armen Musikanten eiskalt über dem Rücken, als derselbe ihm die Hand zum Morgengruß hinhielt, allein er wagte nicht, sie ihm zu verweigern, eilte aber dann, so schnell er konnte, seiner Heimat zu. Da fühlte er sich im Laufen durch etwas gehindert, was sich wie eine schwere Last an ihn hing, es waren seine Rocktaschen, deren Inhalt ihn zur Erde zog, er griff hinein und siehe, die Äpfel und Birnen, welche er sich hineingesteckt zu haben erinnerte, waren zu Klumpen Gold geworden und nun strengte er sich erst recht an, so schnell wie möglich nach der Stadt zu kommen.
Als er an dem Tor anlangte, war er so überglücklich, daß er gänzlich vergaß, daß er den Zwergen unverbrüchliches Schweigen über Alles, was er gesehen, angelobt hatte. Er hatte nichts Eiligeres zu tun, als den Torschreiber von seinem Glück in Kenntniss zu setzen, und als er in die Taschen griff um ihm die goldenen Schätze, die er mitgebracht habe, zum Beweis der Wahrheit seiner Erzählung zu zeigen, zog er leider nur eine Hand voll ganz verschrumpfter und halb fauler Äpfel heraus und sah, daß er durch sein vorzeitiges Geschwätz selbst sein Glück wieder vernichtet hatte.
Man sagt übrigens, daß man noch heute zur Mittagsstunde einen Schäfer seine Herde vom Zwergsloche nach der sogenannten Kerbe und von da wieder nach dem sogenannten Zwergsloche treiben sieht. Wenn es Eins schlägt, sind Schäfer und Schafe verschwunden. Das soll der Zwergkönig mit seinen Untertanen sein, die er täglich einmal an die Sonne führt. Jetzt soll aber in dieser Kerbe der vom Kehrwieder weggebannte Hüne Schaper, auch Schaperjohann genannt, sitzen.
Text-Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des Preußischen Staates, Band 2, Glogau 1868/71, S. 900-903
In dem Gefängnis zu Steuerwald saß „vor alters“ einmal ein Gefangener. Der fing eines Nachts an, fürchterlich um Hülfe zu schreien; die Wächter aber dachten, es plagten ihn wohl Gespenster, fürchteten sich und sahen nicht nach. Endlich hörten sie nur ein Röcheln und bald war alles still und stumm.
Gleich am folgenden Morgen sahen sie in das Gefängnis und fanden zu ihrer größten Verwunderung keinen Menschen mehr darin, nur einige frisch abgenagte Knochen lagen auf dem Boden. Da dachten sie wohl, daß ein wildes Tier den Menschen gefressen haben möchte. Aber wie sollte das hinein- und herausgekommen sein?
Einer kam auf den Einfall und warf ein großes Stück Fleisch ins Gefängnis, und kaum lag das Fleisch am Boden, so schossen aus einer Mauerritze zwei große Schlangen und verzehrten das Fleisch.
Zwischen Einum und Bavenstedt im Sauteichsfelde sieht man nachts einen glühenden Mann, welcher mit einem glühenden Pflug pflügt und dabei immer ausruft: „Unrecht! Unrecht!“.
Dieser Mann geht so bis zum jüngsten Tage, weil er seinem Nachbarn abgepflügt (Das Feld des Nachbarn abgeerntet hat) und nachher beschworen hatte, daß das abgepflügte Land sein eigenes sei.
Auf dem Lappenberge, am Pulverturm, spukte in Stiftschen Zeiten ein Jude.
Einst taumelte ein vermessener Trunkenbold nachts aus einem Wirtshause, sah den unseligen Juden umgehen und rief ihm zu: „Schachmachai niks zu handeln!?“ „Krieg den Tippel!“ fluchte der Jude und gab dem Wüstling eine Ohrfeige, daß er zu Boden stürzte. Am anderen Morgen fanden die Leute den Vermessenen noch am Boden liegen, fünf schwarze Finger saßen ihm im Gesicht und konnten durch keine Seife weggebracht werden.
Der Mann bereute sein sündiges Leben, ward bettlägerig und starb bald darauf.