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Leute, die am Sonntag geboren sind, können Geister sehen. Auch andere Leute können Geister sehen, wenn sie einem Sonntagskinde über die rechte Schulter blicken.
Mein seliger Mann ging mal mit dem Silberdiener (für das Haussilber zuständige Hausdiener) „beim Süstern“ (Kloster St. Magdalenen) vorbei. „Ach mein Gott!“ sagte auf einmal der Silberdiener „da tragen sie Registerschreibers Josef hin“. Was? Wo? fragte mein Mann. „Guck mal über meine rechte Schulter“, sagte der Silberdiener. Gottlob daß ich nicht am Sonntag geboren bin, seufzte mein Mann als er ihm über die rechte Schulter geblickt hatte. - Ja das ist auch ein wahres Leiden, wenn man so Alles sehen muß, meinte betrübt der Silberdiener, gib Acht, der Josef lebt keine acht Tage mehr.
Am andern Tage aber schon kam die „Grabbittersche “ und lud zur Seelenmesse ein für Registerschreibers Josef.
Als eine Art „Wahrzeichen“ galt (vor 1945?) eine Figur, die sich am Fenster eines Rathauszimmers auf dem Sockel des Mauerwerks befand.
Sie schaute mit vorgestrecktem Kopf in das Zimmer hinein und stellte wohl den Teufel dar. Dessen Anblick sollte angeblich Personen, die einen Eid leisten mußten, zur Gewissenhaftigkeit mahnen.
Text-Quelle:
D. Fischer: Zeitschrift für Deutsche Kulturgeschichte, Die Straßennamen der Stadt Hildesheim, Bauer & Raspe 1857, Nürnberg, Bd. 2, S.
In der Hildesheimer Geschichtlichen Erzählung "Die Tönniesfresser", geschrieben von Gustav Falke, wurde der folgende Vorfall erzählt:
„Es war am Ende des Jahres 1499, als eine schlimme Schandtat aufgedeckt und gesühnt wurde.
In der Hildesheimer Neustadt gab es - wie auch anderwärtig - eine Antonius-Stiftung, dem Schutzpatron der Aussätzigen. Zu deren Gunsten hatte ein Rats-Ausschuß alljährlich einige Schweine zu mästen. Das Fleisch geriet aber in diesem Jahr in die falschen Händen. Der Bürgermeister Bernheide und seine Ratsgenossen hatten die Schweine heimlich geschlachtet und verzehrt.
Es gab ein großes Aufsehen in der Stadt. Die Volkswut fegte die „Tönniesfresser“, wie sie sofort genannt wurden, hinweg. Sie verloren ihre Ämter und wurden für unwürdig befunden, in Zukunft solche zu übernehmen.“ (Kurzform)
In einem Hause im Pfaffenstieg ist eine Nonne eingemauert.
Auf dem Steine in der Nähe des "Riesensandkörnchens" hat man zu unseren Voreltern Zeiten einmal eine vornehme Kindesmörderin lebendig begraben und ihr Dornen, Brennesseln und glühende Kohlen untergelegt.
Ein armer Tagelöhner, der oft den Christus bei Prozessionen und geistlichen Schauspielen vorgestellt (dargestellt) hatte, und überhaupt ein sehr frommer Mann war, starb und hinterließ seinem Sohne, außer einem alten Schubkarren und ein Paar wackligen Stühlen und Tischen nichts als ein hölzernes Bild vom Hl. Veit.
Den heiligen Vitus, der nicht von dem Christenglauben hatte lassen wollen, hatten die grausamen Heiden dazu verdammt, sich lebendig in einen Kessel voll siedenden Oels zu stellen. So war denn der "Sünte Vit", den der Tagelöhner seinem Sohne hinterließ, auch in Holz abgebildet und seine Füße standen in einem großen Klotz, der wie ein Kessel gestaltet war. Der Sohn war indeß lange nicht so fromm als der Vater, er warf den heiligen Veit als ein nutzloses Ding in den Stall und gedachte ihn im Winter als Feuerholz zu verwenden. An einem kalten Wintertage wollte er denn auch seinen Vorsatz ausführen, legte den heiligen Veit auf den Sägebock und setzte die Säge an, um ihm zuerst den Klotz von den Füßen zu sägen. Das sah eine arme Frau, welche mit in dem Hause wohnte, und schrie den gottlosen Menschen an, "ob er sich denn nicht der Sünde fürchte, er solle einhalten, sie habe zwar selbst nichts übrig, aber sie wolle ihm doch vier Mariengroschen für den Sünte Vit geben". Das ging der Mann ein und verkaufte den Heiligen.
Die Frau trug den Gemißhandelten in ihre Stube und sah zu ihrer Betrübniß, daß das eine Bein bereits durchgesägt war. Sie holte nun Leim herbei, um den Schaden wieder gut zu machen, aber als sie an dem Beine drückte und bog, da brach auf einmal der ganze Klotz ab, rollte mit heftigem Gepolter durch die Stube und o Wunder! Hunderte von Goldstücken rollten aus seiner Höhlung hervor. Nun wurde die Frau steinreich. Den h. Vitus aber ließ sie vergolden und ihn statt des hölzernen Kessels einen ganz silbernen machen.
Text-Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des Preußischen Staates, Band 2, Glogau 1868/71, S. 891-892
Am Rathause zu Hildesheim finden sich auf der Seite nach der Marktstraße zu die Worte eingehauen: "Dat is de Garenmate". Daran hat ein geiziger Kaufmann Schuld, der einen großen Garnhandel hatte und die Leute übervorteilte. Kaufte er den armen Leuten ab, so konnte er das Maß nicht groß genug bekommen, verkaufte er aber, so verkürzte er das richtige Maß.
Als nun dieser Kaufmann gestorben war, trat er des Nachts vor das Bett seiner erschrockenen Frau und jammerte, daß er so viel Pein in der Hölle erleiden müsse, weil er immer unrichtig gemessen habe, und warf eine eiserne Elle mit den Worten auf den Tisch: "Dat is de Garen Mate". Dann ermahnte er die Frau, doch ja immer nach diesem richtigen Maße zu kaufen und zu verkaufen, damit es ihr dereinst nicht ergehe wie ihm. Darauf verschwand der Mann und die Frau hatte vor Schrecken beinahe den Tod.
Am anderen Morgen fiel ihr erster Blick auf den Tisch, auf welchen ihr Mann die Elle geworfen hatte. Aber es war keine Elle zu sehen, statt dessen sah die Kaufmannsfrau eine ellenlange Ritze im Tische, als ob sie hineingebrannt wäre; dieselbe Ritze ging auch unter dem Tische durch den Fußboden und durch alle Decken des Hauses bis auf die Diele, wo sie so tief eingebrannt war, daß man den Grund nicht sehen und auch mit dem längsten Stock nicht fühlen konnte. Die Frau konnte in ihrer Seelenangst die Geschichte nicht verschweigen, und als der Magistrat die Sache erfuhr, ließ er von einem Ratsdiener die Länge der eingebrannten Ritzen messen und diese stimmte genau mit dem gebräuchlichen richtigen Garenmaß.
Da ließ der Magistrat zum ewigen Gedächtniß und Warnung jene Worte in einen Stein der Rathausmauer hauen.
Text-Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des Preußischen Staates, Band 2, Glogau 1868/71, S. 892
Zu einem jüdischen Handelsmann auf dem Lappenberg kam ein vornehmer Christ und versetzte einen kostbaren Ring. Als nun der Jude einige Tage nachher den Ring besucht, findet er statt des Ringes einen zusammengekrümmten häßlichen Wurm. Wütend warf Pessche, des Handelsmanns Frau, den Wurm ins Feuer, aber sogleich pocht der vornehme Christ an die Haustür, hält den versetzten Ring in der Hand, zittert am ganzen Leibe und sagt, er habe den Ring aus Versehen wieder mitgenommen.
Der Handelsmann nimmt höflich den Ring wieder in Empfang, ruft aber, nachdem er die Türe geschlossen, dem sich entfernenden Herrn aus dem Fenster nach: »Wenn der Ring wieder ein Wurm wird, wirft ihn Pessche wieder ins Feuer.« Da ist der Ring nicht wieder zu einem Wurm geworden.
Text-Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des Preußischen Staates, Band 2, Glogau 1868/71, S. 893
Wer aus einer Schlange das Fett bratet und sich damit bestreicht, wird stark wie ein Löwe.
Das hatte der kleine Jude Veitel, den die Studenten auf dem Domhofe immer "Moritz machen"* ließen, auch gehört und dachte sich auf diese Weise an ihnen rächen zu können. Veitel fing also in der alten Mauer am Kehrwieder-Wall eine Schlange und brachte sie seiner Schabbesfrau zum Braten, denn die Juden dürfen keine Schlange in ihr Geschirr nehmen.
Auch die Schabbesfrau wollte erst nicht daran und so gab ihr denn Veitel einen Gulden und die Frau warf die Schlange in die Pfanne. Da schrie aber auf einmal die Schlange in der Schüssel: "Schma Jesröel! Schma Jesröel!" Da merkte Veitel auf einmal, welche große Sünde er getan hatte, und dachte nicht mehr daran, daß er stärker werden wollte, als ihn Gott gemacht hatte.
* Eigentlich »Morth machen« d. h. eine gezwungene Verbeugung machen
Text-Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des Preußischen Staates, Band 2, Glogau 1868/71, S. 893-894
Lange vor der westphälischen Zeit saß eine große rote Schlange mit einer goldenen Krone auf dem Kopfe im Walle am Hagenthore. Kinder, welche dort Veilchen suchten, sahen sie einmal in der Sonne liegen, und liefen vor Angst und Entsetzen davon. Nur ein Junge war beherzt, nahm einen Stein und warf damit nach der Schlange und traf die goldene Krone, daß sie herabflog. Da huschte die Schlange mit einem kläglichen Geschrei in den Wall und ist niemals wieder gesehen worden.
Die goldene Krone aber ist in den Stadtgraben gefallen, wo sie noch liegt, denn so viel man auch nach ihr gesucht hat, Niemand hat sie wiederfinden können. Der Junge aber, der den Stein nach der Schlange geworfen hatte, hat es später oft bereut, denn er hatte von Stund an einen lahmen Arm, den er auch mit ins Grab genommen hat.
Text-Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe, Sagenbuch des Preußischen Staates, Band 2, Glogau 1868/71, S. 894
Ein vermessener Junge aus Hildesheim hieb einst im Ziegenberge bei Söhre eine Schlange mitten voneinander. Da wurde aus den beiden Stücken zwei Schlangen, welche grimmig auf den Jungen losfuhren. Er wehrte sich tapfer und hieb beide wiederum in Stücke, da wurden aus den Stücken vier Schlangen, und, als er auch diese zerhaute, wurden es acht und dann sechzehn.
Nun ging dem Jungen die Kraft aus und ein ganzer Haufen von Schlangen stürzte über ihn her.
Glücklicherweise kamen Holzgänger des Weges und verscheuchten das Gewürm.
Der junge aber war so zugerichtet, daß er bald darauf verstarb.
Eine Frau in Hildesheim hatte eine Schlange im Keller, die täglich ihre Milch bekam und ihr nicht für tausend Taler feil (zu verkaufen) gewesen wäre. Diese Frau wußte alles vorher, was geschah und in der Erntezeit gingen die Leute wohl zu ihr und nahmen sie wegen des Wetters in Rat.
Oft stand die frau bei hellem Sonnenschein vor der Tür und rief den Nachbaren zu: „schließt die Fenster!“ – „Dummes Zeug!“ hat dann wohl dieser oder jener gesagt, „der Himmel ist ja ganz hell!“ – Nachher mußten sie erfahren, daß die Frau doch richtig vorhergesagt hatte, und manche wurden durch Schaden klug.