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Als die Schlacht von Leipzig am 2. September 1631 zugunsten der Protestanten entschieden war, suchten sich die Städte des nördlichen Deutschlands diesen Sieg zu Nutzen zu machen und sich von den Besatzungen und den damit verbundenen Drangsalen der Kaiserlichen zu befreien.
Die Stadt Hildesheim, die in Folge dieses Krieges und des häufigen und mannigfaltigen Wechsels der Herrschaft oft in große Not geriet, trat jetzt offen dem Leipziger Bunde bei und setzte sich den Kaiserlichen gegenüber auf den Kriegsfuß und in Verteidigungszustand; fühlte sich aber allein zu schwach einer etwaigen Belagerung zu wiederstehen und nahm deßhalb eine schwedische Besatzung unter dem Obersten Marettig ein, die sieben Wochen lang auf Kosten der Stadt verpflegt wurde.
Diese Schweden, in Verbindung mit dem Lüneburg‘schen „Hülfsvölkern“, erstürmten am 10.6.1632 das feste Schloß Steuerwald, wo der kaiserliche General Graf v. Pappenheim sich festgesetzt hatte, und der sich nach einem blutigen Scharmützel den Siegern auf Gnade und Ungnade ergeben mußte.
Jetzt zog der Herzog Georg von Lüneburg in Hildesheim ein und nahm hier als General des niedersächsischen Kreises und Befehlshaber von 14,000 Kriegern sein Hauptquartier. Der größere Teil seines Heeres hatte auf dem Galgenberge sein Lager aufgeschlagen und der nach Westphalen sich zurückziehende Pappenheim schickte der Stadt durch von dem Moritzberge aus hineingeworfene Kanonenkugeln seine Abschiedsgrüße zu. Der ihm nachgesandte General Baudissin wagte nicht sich mit ihm zu messen und kehrte unverrichteter Sache wieder um. Am 3 August verließen auch die Lüneburger die Stadt um den Braunschweigern, die, das von den Kaiserlichen besetzte Wolfenbüttel belagerten, zu Hilfe zu eilen.
Hildesheim war jetzt von freundlichen und feindlichen Truppen entblößt. Ganz sich selbst überlassen, blickte seine Einwohnerschaft mit banger Besorgniß in die Zukunft, zumal sie keinen Mann in ihrer Mitte ausfindig machen konnte, der ihnen im Fall einer feindlichen Belagerung als Führer hätte dienen könne. Pappenheim, der bereits Mastricht erreicht hatte, wurde, wie man damals allgemein vermutete, durch die katholische Geistlichkeit von der Lage der Stadt in Kenntniß gesetzt, und verfehlte nicht, diese günstige Gelegenheit zu benutzen, um die Scharte wieder auszuwetzen. In Doppelmärschen eilte er nach Hildesheim zurück. Sein Reiterregiment unter dem Obersten von Paland kam zuerst vor der Stadt an, umschwärmte dieselbe von allen Seiten und setzte sich auf dem Galgenberge fest, während der Oberfeldherr selbst in dem nahe gelegenen Steuerwald, dessen Festungswerke von den Hildesheimer selbst zerstört waren, sein Hauptquartier nahm. Wer mal den Schreck, das Entsetzen und das Wehklagender Einwohner, als sie auf den Festungswerken in Gruppen geteilt, aus den Schalllöchern der Türme oder aus den Giebelöffnungen der Häuser in ängstlicher Neugierde nach dem Galgenberge hinaufschauten, wo die blanken Kürasse und Spieße der Wallonen, in der Sonne blitzend, sie unwillkürlich an das grausige Geschick der Schwesterstadt erinnerte.
Die Läden der Häuser wurden geschlossen, die Weiber und Kinder im Innern derselben weinten und wünschten, daß man die Stadt ohne Schwertstreich dem Feinde übergeben möchte. Aber nicht so dachten ihre Männer und Väter. Diese waren entschlossen, das Leben für die Rettung der teuren Vaterstadt in die Schanze zu schlagen und nur über ihre Leichname den Feind in die Tore zu lassen.
Während dessen machte eine Abteilung der Pappenheimschen beim Hauptscheibenstande des Schützenhauses ihre Laufgräben nach dem hohen Rundteil (Rondell) hinter dem Kloster St. Michael; eine zweite neben der Lademühle, und richtete ihre Laufgräben auf dasselbe Ziel; eine dritte bei Hoensen (Hohnsen) hinter dem Kloster St. Godehard, und strebte nach dem neuen Tore; eine vierte hinter der Sülte in der Richtung nach dem Ostertore. Alle diese Punkte waren mit Mörsern und Haubitze stark besetzt.
Drei Tage nach dem ersten Erscheinen der Plänkler dem Galgenberge schickte Pappenheim einen Trommelschläger mit nachfolgender Aufforderung an den Rat:
„Gottfried Heinrich Graf von Papenheim, Römisch Kaiserlicher Majestät und Churfürstlicher Durchlaucht in Baiern resp. Reichs-, Erb- und Feldmarschalk, Reichs-Hofrath, Kämerer und Oberster.
Demnach der Rath und Bürger der Stadt Hilde heim nunmehr klärlich sehen können, daß ihnen die Straf Gottes (wegen Abbrennung so vieler Gotteshäuser und ihrer verübten vielfältigen Rebellion) nunmehr vor der Thür, der Baudissin verjagt und das Lüneburg‘sche Lager vor Wolfenbüttel (Gottlob) vorgestern auf's Haupt erlegt ist und Wir aber dennoch das Blutvergießen so vieler Armen Verführten, insonderheit der unschuldigen Kinder und Weibspersonen billig, und so viel an Uns ist, gern vermieden sehen wollten; so haben Wir sie hiemit öffentlich warnen und auf Gnad zu ergeben auffordern wollen.“
Sollten sie sich aber der angebotenen Gnad vor dieses Mal nicht gebrauchen, so haben sie sich ferner keiner Gehör zu getröste, sondern protestiren hiemit vor Gott und der ganzen Welt, daß Wir an alle dem Plündern, Mord-Brand, so ihnen sammt ihren Weib und Kindern (gleich den Magdeburgern geschehen) widerfahren mögte, erkusirt und entschuldigt sein wollen. Erwarten durch Zeigern, deßwegen abgefertigten Trommelschlägern, ihrer Runden Antwort mit Ja oder Nein.
Gegeben im Feldlager zu Hildesheim d. 7. Okt. 1632
(L.S.) Papenheimb“
Diese Aufforderung hatte keinen Erfolg, und die Bürgerschaft entschloß sich zum Kampfe. Mehre Ausfälle derselben, namentlich gegen die Laufgräben der damals noch mit Wein bepflanzten Anhöhen am Michaeliskloster, bewirkten nur, daß die Baiern dort zurückgeschlagen und fünf Gefangene gemacht wurden. Als indeß aus den Hoenser Weinbergen mehrere Hunderte von Bomben, zwei- bis dreihundertpfündige, in die Stadt geschossen und viele Häuser der Neustadt, nebst der Lambertikirche, dadurch beschädigt wurden, sahen sich die Bürger, die keine Hülfe von Außen zu erwarten hatten, zur Ubergabe der Stadt genötigt.
In einer zwischen der Bürgerschaft und dem Rathe stattgehabten Berathung war dieser Entschluß gefaßt worden, eine Deputation der drei Befehlshaber der Miliz wurde zu Papenheim nach Steuerwald gesandt, um mit ihm zu unterhandeln. Das Resultat dieser Unterhandlung war, daß die Stadt zur Abwehr der Plünderung zweitausend Soldaten verpflegen und die für die damalige Zeit erstaunliche Summe von 150,000 Reichstaler bezahlen mußte. Mit klingendem Spiele, unter Pauken- und Trompetenschall hielt am 28. September Morgens 8 Uhr, der furchtbare General Graf Pappenheim, ganz in die feinsten Silberstoffe gekleidet und umgeben seinem Generalstabe, seinen pomphafte Einzug durch Almstor. Er wurde von den Behörden auf das feierlichste begrüßt und empfangen, obwohl man ihn in's Pfefferland wünschte. Die Schwadronen der Reiter und Fußgänger folgten ihm mit Fahnen und mit Trommelschall nach: die Scharfschützen, die Holkischen reitenden Jäger, die Buttler’schen Dragoner, die lombardischen und wallonischen Kürassiere, die Tiefenbach‘schen Arkebusiere, die Uhlanen und Kroaten und endlich leichte und schwere Artillerie.
Es war ein schrecklich schöner Anblick für die Hildesheimer, die ein aus so vielen verschiedenen Völkern und Kriegsgattungen zusammengesetztes Heer im Laufe des Krieges noch nicht gesehen hatten und bis zum Jahre 1850 nicht wieder sahen.
Wenn nun auch in Folge des Vertrages die einzelnen Familien vor Plünderung bewahrt wurden, so muß man doch bekennen, daß die ganze Stadt durch die Einquartierung, die Brandschatzung und andere Gewaltmaßregeln ausgeplündert und ihre Wohlhabenheit gänzlich zu Grunde gerichtet wurde.
Schutz fanden jetzt nur solche und wurden von den Abgab befreit, die zur katholischen Kirche übertraten, deren Zahl in dieser verhängnißvollen Zeit nicht gering gewesen sein mag. Die Stadt Hildesheim, bis dahin eine der blühendsten des deutschen Reiches, wurde von jetzt an zu den ärmsten gezählt. Sie hat sich noch heute nicht von ihrem Fall gänzlich erholt.
Hildesheim schien vor allen andern Städten damals ausersehen, die größten Wechselfälle des Krieges kennen zu lernen.
Im Augustmonat des folgenden Jahres 1633, rückten die Braunschweig-Lüneburgischen Kriegsvölker wieder vor die Stadt und begannen dieselbe vom Galgenberge aus zu beschießen. Die Noth der Bürger wuchs immer mehr und mehr, so daß bei steigendem Mangel an Nahrungsmitteln ein Hausarrest über die ganze Bürgerschaft verhängt wurde. Pappenheim, der Hülfsvölker erwartete, welche Hildesheim entsetzen sollten, sah sich endlich im Juli 1634, als diese am Hülfersberge von den Lüneburgern geschlagen waren, zur Übergabe der Stadt genötigt. Er verließ mit seinen Truppen die Stadt, und die Sieger zogen ein, die nun ihrerseits mit ebenderselben Unduldsamkeit gegen die Katholiken verfuhren, die diese vorhin gegen die Protestanten bewiesen hatten.
Text-Quelle:
W. Andreä, Erheiterungen - Eine Hausbibliothek der Unterhaltung und Belehrung - "Pappenheim - Hildesheim", Karl Müller & Co. Stuttgart 1867, Band 39, Seite 82f