oder auch: Wahl-Rezeß von 1703
Bei dieser besonderen Urkunde handelt es sich um die Niederschrift eines neuen Verfassungsstatuts der Stadt Hildesheim, das am Schluß langwieriger und schwieriger Verhandlungen von allen Beteiligten durch Aufdrücken des jeweiligen Siegels Gültigkeit erlangt hat. Wesentlicher Teil dieser umfänglichen Urkunde waren die neuen Regeln für die Wahlen der städtischen Gremien, daher seine Bezeichnung „Wahl-Receß“. Wie war es überhaupt dazu gekommen?
Die seit langem bestehende desolate Finanzsituation der Stadt Hildesheim, die 1701 ihren Tiefpunkt erreicht hatte, mündete in einen heftigen innerstädtischen Verfassungsstreit. Auslöser war die strittige Rechnungslegung der Kämmereikasse. Dies führte besonders bei den Handwerksämtern und Gilden zu offener Empörung und einer bewaffneten Zusammenrottung vor dem Rathaus. Die Ämter und Gilden wandten sich gegen den Rat der Stadt. Es kam zu Abwahl, Ausschluß und Inhaftierung von Ratsherren. Die städtischen Bäuerschaften bildeten Ende 1702 – an der bisherigen Stadtverfassung vorbei – mit der Wahl eines Sechsunddreißiger Kollegiums ein nicht legitimiertes Vertretungsorgan, das den Rat unter Druck setzte.
Ratsherren und Samtregierung der Stadt baten den starken Welfenherzog Georg Wilhelm, der sich als Schutzherr der Stadt Hildesheim verstand, um Vermittlung in diesem innerstädtischen Konflikt und öffneten in ihrer Hilflosigkeit nach einem geheimen Beschluß ohne Rücksicht auf die Bürgerschaft am 23. Januar 1703 den welfischen Truppen, immerhin mehr als 2000 Soldaten, die Tore.
Die realen Machtverhältnisse zwangen die Städter, nunmehr unter Aufsicht und starker Einflußnahme des nach Hildesheim entsandten braunschweig-lüneburgischen Hofrats Johann Christoph von Hedemann (Heidemann) im Jahre 1703 eine neue Verfassung zu erarbeiten, die andernfalls unter den zerstrittenen Stadtbürgern wohl kaum zustande gekommen wäre. Die Stadtregierung bestand seither aus zwei „Stühlen“, dem Ratsstuhl aus zwei Bürgermeistern und 10 Ratsherren nebst Syndikus und Vizesyndikus, und dem „Ständestuhl“, der sich aus sechs Alterleuten der gesamten Gemeinde und aus sechs Vertretern der Ämter und Gilden zusammensetzte. Neu war außerdem, daß künftig den Mitgliedern dieser neuen Verfassungsorgane feste Gehälter zugewiesen wurden, dafür fielen aber die meisten der zuvor gewährten zahlreichen Vergünstigungen der ehrenamtlichen Amtsträger weg. Das ganze Regelungswerk wurde am 11. Juli 1703 als neue Verfassung angenommen.
Dieser „Hedemannsche Rezeß“ ist praktisch das erste Hildesheimische Verfassungsdokument seit jenem bedeutsamen Stadtrechtsprivileg von etwa 1249, das durch Einwirkung von außen zustande gekommen war und Gültigkeit erlangt hatte. Der vollständige Text des neuen Verfassungsinstituts einschließlich einer rechtfertigenden Vorrede des Welfenherzogs Georg Wilhelm ist freilich nicht nur in dem anfangs angesprochenen handschriftlichen Exemplar überliefert, sondern findet sich auch gedruckt in der 1791 erschienenen „Sammlung Stadt-Hildesheimischer Verordnungen“, die von dem „Hochfürstlich-Hildesheimschen RegierungsAdvocaten“ Philipp Jacob Hillebrandt zusammengestellt und veröffentlicht wurde.
Mit der alten Hildesheimer Stadtfreiheit war es jedenfalls nach der Annahme des „Hedemannschen Rezesses“ von 1703 als neues Verfassungsstatut nicht mehr weit her. 1711 rückte erneut ein Truppenkontingent der Welfen in die Stadt ein, das sich bald als kleine dauerhafte hannoversche Garnison entpuppte, die bis zum endgültigen Ende der „Stadtfreiheit“ und dem eigenständigen bischöflichen Territorium im Jahre 1802 in Hildesheim verblieb.
(im Original übernommen)
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