Der Rittersaal
Die Gobelins
Die Deckenmalerei
[1.1] Ein kostbares Werk der Innendekoration des Domes bilden die Arbeiten zur Verschönerung des Rittersaales, der Aula Nobilium im südlichen Domkreuzgang.
Als Thronsaal und Repräsentationsraum erhält er 1744 durch den geschickten
Maler Gregor Winck prachtvollen Deckenschmuck; seine Wände aber zieren herrliche Gobelins, welche – angeblich Szenen aus dem Leben Ludwigs des Frommen darstellend – aus der französischen Gobelinmanufaktur in Paris stammen und wahrscheinlich die Herrschertugenden des Dauphins wiedergeben.
[1.2] Über der Laurentiuskapelle liegt der sogenannte Rittersaal (nach dem Besuche des Königs Georg V. von Hannover 1865) genannt.
Er enthielt, seine frühere repräsentative Zwecke entkleidet, das fürstlich hildesheimische Archiv, sowie die Archive des früheren Domkapitels und der Stifte.
Die ersten Nachrichten über den Schmuck dieses Saales datiert von 1483.
Über diese Wandmalereien schrieb ein Besucher:
„Der Rittersaal daselbst ist 1483 mit verschiedenen Malereien ausgeziert, welche die versammelten Stände an Handhabung der Gerechtigkeit erinnern sollten. In der daselbst vorgestellten Hölle befanden sich Päpste, Kardinäle, Bischöfe usw. Zur Rechten lag der Bischof Barthold von Landesberg auf den Knien und neben ihm der Dompropst Eckhard von Wenden d.Ä. , hinter ihnen die übrigen Prälaten, ein jeglicher in der damals gewöhnlichen Kleidung.“
„In der Mitte der Wand stand die Jungfrau Maria. Zu ihrer Linken standen die Vasallen und Lehnsleute nebeneinander, und darauf die Bürger mit den Bauern in damaliger Kleidung. Doch 1739 hat man diese Gemälde ausgetilgt, und den Saal mit neuen Malereien versehen.“
P. Georg Elbers beschreibt die Darstellungen noch genauer. Besonders gibt er die (damals schon verblassten) Inschriften an. Es stand:
Unter Maria:
In matrona tuam dignissima Virgo Maria
Suscipe tutelam nos simul et patriam.
Unter Bischof und Prälaten:
Biblia commemorat: Nabuchodonesor ut bos
propter saevitiam mandere foena tulit.
Unter den Vertretern der Ritterschaft:
Pro patria pugnare jubet lex vimque repulsam
Fortia facta patrum saepe per acta docent.
Unter den Bürgern:
Nil melius quam quod jus conservetur et aequum:
Tempora pacifica quaesumus exagite.
Unter den Bauern:
Vos absorbetis nostros per saepe labores –
Aurea quae quondam tribuisti saecula mundo
Te rogo temporibus contere bella meis.
Die Beischriften beziehen sich auf die schwere Lage des Stiftes anläßlich der kaum beendete Bierzise (1482) und die weiteren Zerwürfnisse.
Sie sollten die Ritter zur Tapferkeit, die Bürger zur Anerkennung der Rechte des Landesherrn anhalten; die Bauern aber erbitten den Frieden. Dem Bischof und seinem Kapitel wird mit dem Geschicke Nebuchodnosors (Bibel: König von Assyrien) gedroht, falls er nicht gewissenhaft ist und auf alle den Segen der Stiftspatronin (der Heiligen Maria) erfleht.
Die genannten – in manchem Gedanken an Signorellis berühmte Fresken im Dom von Oviedo erinnert – Bilder waren sehr schadhaft geworden, so das 1740 die fürstliche Regierung beschloss, den schönen Raum bei „der höchst nötigen Reparatur“ würdig wiederherzustellen.
Text-Quelle: [1.1] Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Selbstverlag der Provinzverwaltung; Hannover 1912, Band II,
Heft 4, Teil 2, Seite 29
[1.2] Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Selbstverlag der Provinzverwaltung; Hannover 1912, Band II,
Heft 4, Teil 2, Seite 124f
Bildquelle:
- Foto / Bild Bild 1: Privatbesitz H.-J. Brand
[1] Hierzu bot sich eine willkommene Gelegenheit durch das wahrhaft fürstliche Geschenk der kostbaren Gobelins, welche von dem am 25. August 1727 verstorbenen Dompropst Freiherrn von Landsberg dem Kapitel vermacht wurden.
Eine sichere Deutung der Darstellungen liegt bisher nicht vor. Die Figuren, in römische Kostüme gekleidet, stellen Szenen aus dem Leben ein es jungen Fürsten dar.
Die Teppiche sind an den Rändern ornamentiert, auf einem Schilde unter einer Krone steht ineinander geschlungen das Monogramm: (Bild 2). Die Inschriften sind Französisch und das Zeichen (Bild 3) in der Umrahmung deutet auf den Künstler hin.
Über den Ursprung dürften die Angaben der Lehrerin an der Königlichen Kunstschule zu Breslau, Fräulein Daubert, von Wert sein, welche mit der Wiederherstellung der Teppiche beauftragt, im September 1910 der Königlichen Regierung nachstehendes übermittelte:
„Als Urheber der Entwürfe darf mit großer Wahrscheinlichkeit angesehen werden ein junger niederländischer Maler Nikolas van Plattenberghe, welcher ein Sohn eines Matthieu van Plattenberghe 1631 zu Paris geboren, sich der Kunst seines Vaters zuwandte und als „Dessinateur de Tapisserie“ in Akten vorkommt. Später französiert er seinen Namen als: de la Platte-Montagne, dann nur Montagne und gehörte wahrscheinlich zu jenen 48 Künstlern, welche unter Le Bruns Leitung bei Errichtung der „Manufacture des Gobelins“ unter Ludwig XVI. berufen wurde. Der König gab dem Künstler 1686 den Auftrag zu einer großen Tapisserie mit Darstellungen „der Krönung der Psyche“.
Die vorliegenden Teppiche sind nach dem Monogramm als Verherrlichung der Eigenschaften des „Grand Dauphin“, Sohn des Königs, anzusehen, der 1661 geboren, 1711 starb“.
Die Teppiche dienten wohl zur Ausschmückung von Räumen, welche der Dauphin auf seinen Heerzügen vorübergehend bewohnte.
Die auf den Teppichen angebrachten Bilder stellen den Werdegang und die Verherrlichung eines Fürsten dar.
An der westlichen Wand:
Ein Herold zu Pferde liest eine Botschaft an das versammelte Volk; hinter ihm Fanfarenbläser zu Pferde, die demnach einen Sieg oder eine Besitzergreifung verkünden. Im Hintergrund ein großer Hafen, in ihm Kriegsgaleeren, ein mehrgeschossiger Festungsturm (sog. Kavalier) in der Mitte der Wehrbauten, dahinter eine große Stadt.
Die Farben dieses wie der übrigen Teppiche zeigen meist gelbe und bräunliche Töne, namentlich aber blaue in den Schattenpartien und rote (rosa) auf den Gewändern. Die Zeichnung ist sehr großzügig; sehr fein durchgeführt die Personifikationen der Tugenden im umgebenden Fries. In diesem in halber Höhe die bereits erwähnten Embleme des Dauphin; darunter und darüber Allegorien; Frauengestallt mit Blumen, Früchten usw.
Zu deuten: rechts die Gerichtsbarkeit, links ein Flußgott usw.
Der Wandteppich zur Rechten zeigt den jungen Fürsten, geleitet von einer Frauengestalt, von ihr ein Buch empfangend: Die Geschichte, in denen Buch der Fürst sich in seinen Taten verewigt. Im Vordergrund stehen rechts Krieger als Vertreter der Waffengewalt, links loorbergeschmückte Männer (Dichter und Künstler?) als die Lobredner seiner kriegerischen Taten; unter ihnen einer mit Zirkel und Erdkugel; im Vordergrunde astrologische Instrumente, welche symbolisch den Stern, unter dem der Fürst geboren ist, andeuten.
Eine hohe Steinfigur überragt alle: Pallas Athene. Im Hintergrund eine Stadt mit Festungsbauten, großem, in niederländischer Renaissance gehaltenem Tor (Rustikaarchitektur).
An der Nordwand des Saales:
Links: In einer offenen Säulenhalle nimmt der Fürst Eitschriften und Zettel entgegen, die er teilwiese zerreißt und zu Boden wirft. Symbolisch wohl als Sieg der Gerechtigkeit über die Verleumdung und (damals in den Niederlanden gegen Ludwig XIV. stark betriebene Pamphletdruckerei) Verhetzung zu deuten. Im Hintergrund der Halle eine Landstraße und eine Stadt.
Das Mittelbild: Derr junge Fürst, umringt von Kriegern und ehrwürdigen Männern (Weisen). Seitlich die Gestalt der Fama als Frau, dahinter von Kriegern getragene Siegeszeichen. Von links ein Posaunenbläser, eine Siegeshymne anstimmend, währen Putten in einem aufgeschlagenen Buch die Verdienste des Fürsten eintragen. Hintergrund architektonisch, eine breite Treppe führt zu einer Galerie, welche von Zuschauern besetzt ist. (Bild 1).
Das rechte Bild: eine Säulenhalle. Der Fürst hat Schriftstücke in der Hand, umgeben von Helden und Ratgebern, rechts Einblick in einen Garten mit Brunnen und Palmen.
Ostwand links: Der Fürst sitzt in einer offenen Gartenhalle; ein Schreiber vor ihm schreibt an einer Kundgebung, deren erste Zeile lautet: De por le Roy usw.; neben ihm eine Matrone, im Hintergrund vornehme Würdenträger.
Auf der rechten Seite der Wand: Fürstliches gemach, der Fürst in einer Sitzung seiner Räte tätig; im Hintergrund ein großer Kamin, Bücherschränke, vorne ein großer Hund auf dem Teppich.
Überblickt man diese Kompositionen, so stellen sie im wesentlichen Einführung eines Fürsten in seine Herrschaft und seine Taten dar. Die Darstellung der reichen Hafenstadt; die manifeste pour le roy usw., der Charakter der Architektur lassen es wohl zu, die Dekorationen als Schmuck eines fürstlichen Absteigequartiers zu denken, das in den damals von Frankreich eroberten Ländern zu suchen ist.
In den Wechselfällen des Krieges sind die Teppiche in die Hände der Gegner gekommen, sie tauchten am Rhein wieder auf und wurden von dem Schenker, Freiherrn von Landsberg, dessen Familie aus dem Elsaß stammt, erworben.
Die damals aufgetretene Behauptung, es seien Darstellungen aus dem Leben Ludwigs des Frommen, mögen den Stifter zum Ankauf besonders gereizt haben. Ihre Herkunft aus Bonn oder Köln ist bis jetzt (1911) unsicher.
Text-Quelle: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4: Kirchliche Bauten; Selbstverlag,
Hannover 1911; Seite 126ff
Bildquelle:
- Foto / Bild Bild 1: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4: Kirchliche Bauten;
Selbstverlag, Hannover 1911; Seite 125
Bild 2+3: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4: Kirchliche Bauten;
Selbstverlag, Hannover 1911; Seite 126
[1] Diesen geschilderten würdigen Wandschmuck auch im Deckenschmuck gleichwertig zu ergänzen, war die Aufgabe der Künstler, die Georg Winck großartig gelöst hat. Um 1744 bemalte er die mit einer Voute umsäumte Decke, welche er dann 1752 und 1753 noch etwas ergänzte.
Wincks Programm war: die Stände des Hochstiftes darzustellen, ihre Pflichten zu bezeichnen und den Sieg der Tugenden zu verherrlichen. Er idealisiert aber gleichzeitig die Figuren, indem er Allegorien an Stelle der früheren realistischen Darstellungen der älteren Bilder setzte.
Die Decke zeigt helle Wolken. Über einem baldachinartigen Aufbau, über dem der Götterbote mit Hermesstab und einem Brief schwebt, steht die Religion, Buch, Kelch und Hostie in Händen, zu ihren Füßen die äußeren Zeichen ihrer irdischen Verwalter: Tiara (für den Papst), Inful (für den Bischof), Kreuz (für den Klerus). Die Klugheit, mit dem Strahlenantlitz geschmückt, hält Spiegel und Schlange in den Händen; die Gerechtigkeit mit verbundenen Augen, mit Schwert und Wage.
Um diese Figuren schweben die Mäßigkeit mit der Mischschale, die Ewigkeit (Frauenfigur mit Zepter, auf dessen Spitze das Auge Gottes), die Zeit als Greis mit dem Stundenglase, die Fama mit Posaunen. In der Symbolik sind diese Figuren genauso in ihrer Beigaben charakterisiert, wie wir es bei den Holzschnitzereien der Profanbauten der Stadt beobachten können.
Um die große Mittelgruppe der drei herrschenden Tugenden gruppieren sich die Stände des Hochstiftes: in der Mitte von unten heraufschwebend das Domkapitel, seitlich Kurien der sieben Stifte, die Ritterschaft und die Städte. Diese Stände sind durch Frauengestalten verkörpert, Wappenschilde kennzeichnen ihre Bedeutung.
Diese in Ruhe und Seligkeit aufgehende Gruppen gegenüber stürzt am Rande des Bildes eine Gestalt mit der Geißel drei lasterhafte Personen in die Lohe der Hölle; die eine mit Schlangen im Haare (wohl das Symbol der Sinnlichkeit); die zweite mit einer Schlange mit Feuerstrahl im Rachen (wohl die Lüge), und eine dritte, welche eine Urne mit Goldstücken fallen läßt (der Geiz). Über dem Felsen leuchtet verklärt in einem rosa Wolkenschimmer die goldene Domkuppel.
Der Name des Malers: Joseph Gregori Winkh steht bescheiden in der Ecke.
Über den Eingangstüren des Saales sitzen die Bilder der Gründer des Stiftes: Karl der Große (Elze) und Ludwig der Fromme (Hildesheim). In den Fensterwänden ist in kleineren Gruppen dargestellt: die Feier einer Messe im Walde, also die Gründung Hildesheims, die Darbringung des Domes an die von der Heiligen Dreifaltigkeit bekrönte Gottesmutter, und zwei Bischöfe und ein Kaiser mit Begleitung als Patrone des Domes und der Diözese.
Im Rittersaal befindet sich eine größere Sammlung teils echter, teils in Gipsabgüssen nachgebildeter Gegenstände der kirchlichen Kleinkunst.
Sie wurde von Herrn Bischof Adolf Bertram von Hildesheim zusammengestellt.
Text-Quelle: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4: Kirchliche Bauten; Selbstverlag, Hannover
1911; Seite 128