[1] Die Christussäule verdankt zweifellos antiken Vorbildern, den Siegessäulen Trajans und Antonius ihre Entstehung. Jedoch hat Bernward verstanden, sie in der Darstellung eigenartig umzubilden. Er stellt die Säule in Verbindung mit den vier Paradiesströmen (Genese 2,10–14) Physon (Klugheit); Geon (Mäßigkeit); Tigris (Tapferkeit); Euphrat (Gerechtigkeit) , den vier Kardinaltugenden des christlichen Mannes, die als vier kleine Figuren mit Urnen an den vier Seiten der Basisplatte sitzen. Darüber baut sich in achtmaliger Windung, entsprechend der heiligen Zahl acht, die figurenreiche Darstellung des irdischen Lebens Christi, sein Triumphzug durch diese Welt bis zum Einzug in Jerusalem auf. Die Szenen selbst sind 43 cm hoch, durch ein glattes Band getrennt, die Säule hat ca. 4 m Höhe und ist wie eine Glocke in einer sogenannten Hohlform gegossen worden.
Die Lebensgeschichte der Säule ist recht wechselvoll. Nach dem Wortlaut des Chronicon Coenobii S. Michaelis war sie für den Kreuzaltar von St. Michael (also den Letter zwischen Laienkirche und Herrenchor, am Beginn der Vierung nach Osten) bestimmt und blieb dort bis 1544. In diesem Jahre wurde die Krönung, ein ehernes Bild des gekreuzigten, entfernt und eingeschmolzen: 1723 ward sie umgestürzt und sollte 1737, nach der Ratswaage geschaffen, verkauft werden. Glücklicherweise wurde dies verhindert, die Säule kam nach St. Michael zurück. 1760 wurde sie, der Zentner zu 30 Taler, nach Hannover verkauft und sollte gleichzeitig mit 42 Hildesheimer Geschützen dorthin wandern. Indessen gelang es, die Säule zu retten und sie in den Dom abzuliefern. Sie wurde später wieder in St. Michael untergebracht, seit 1810 aber im kleinen Domhofe aufgerichtet und 1871 durch ein neues Kapitel romanischer Art mit Kreuz nach den Entwürfen von Bildhauer Professor Küsthardt geziert. 1894/95 wurde sie sodann an ihrer jetzigen Stelle im südlichen Querhausflügel überführt.
Die 28 Szenen (die Klammerzahlen denen von unten stehenden Bild entsprechend) seien kurz angegeben:
1. Taufe: Aus einer Urne ergießt sich der Jordan; in ihm steht Christus auf erhöhter Welle als der Auserwählte gekennzeichnet, durch Johannes die Taufe empfangend.
2. Versuchung: Christus weist mit abwehrender Gebärde gegen den in Menschengestalt dargestellten Versucher gen Himmel.
3/4. Der Heiland erwählt seine Jünger: in zwei Schiffen versammelt Christus gemäß den Worte: „Folget mir nach, ich will Euch erquicken“ seine Jünger.
5. Hochzeit zu Kana. Christus inmitten der Gäste winkt dem Diener, der zum Erstaunen aller Wein aus den mit Wasser gefüllten Krügen schöpft. Interessant der in die Bildebene gedrehte Tisch mit seinem Gerät.
6. Christus heilt einen Aussätzigen in Gestalt eines Kindes.
7. Unter dem Feigenbaum sitzend, wählt Christus die zwölf Apostel.
8. Jesus, am Jakobsbrunnen sitzend, trinkt Wasser aus dem Eimer der Samariterin; eine Szene, besonders glücklich durch Komposition und Feinheit der Gesichte und des Faltenwurfes gegenüber den sonst sehr konventionellen rohen Formen.
9-11 (9a-9d) bezieht sich auf die Szene mit Herodes, seinen Sündenfall, die Enthauptung Johannes und den Tanz der Salome.
12 (10) Die Heilung der Blutflüssigen.
13. (11) Heilung der Blinden.
14. (12a, b) Die Szene mit der Ehebrecherin..
15. (13) Erweckung des Jünglings zu Nain; sehr originell die Kastenbahre mit Tragstangen.
16. (14) Christus verklärt.
17. (15) Heilung des besessenen Knaben.
18/19. (16a, b) Geschichte des armen Lazarus: Vorne eine Burg, darin das Gastmahl; im Gegenbild Lazarus im Schoße Abrahams, gegenüber der Hölle, in der das Reich versinkt.
20. (17) Zachäus im Feigenbaum.
21. (18) Christus verflucht den Baum.
22. (19) Heilung zweier Blinden beim Ausgange von Jericho.
23. (20) Christus und Petrus auf hoher See wandelnd, auf der Rückkehr von der Speisung der Fünftausend.
24. (21) Szene diese selbst.
25. (22a) Die Schwestern des Lazarus weinen vor Christus um ihren toten Bruder.
26. (22b) Auferweckung des Lazarus.
27. (23) Christus beim Mahle im hause Simons des ‚Aussätzigen in Bethanien.
28. (24) der Einzug in Jerusalem: Christus auf dem Eselsfüllen in die durch Türme und Mauern dargestellte Stadt reitend.
Text- und Bildquelle: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 1, Kapitel 4: Kirchliche Bauten; Selbstverlag,
Hannover 1911; Seite 66ff
[W] Die Christussäule, auch Bernwardssäule, im Hildesheimer Dom ist eines der Kunstwerke aus der Zeit Bischof Bernwards, deren herausragende Bedeutung ihr zusammen mit der ebenfalls im Dom befindlichen Bernwardstür und der Bilderdecke in St. Michael die Einstufung als Weltkulturerbe eingetragen hat.
Die Christussäule war für St. Michael geschaffen worden, die Gründung und Grablege Bernwards. Dort stand am Beginn des Ostchors der Kreuzaltar. Hinter dem Kreuzaltar erhob sich die Bronzesäule mit dem Triumphkreuz.
Der Standort unter dem Triumphbogen, den Gallistl aus den schriftlichen Quellen erschloß, wurde 2006 durch Grabung bestätigt. Vor dem Kreuzaltar wiederum stand eine kupferbeschlagene Marmorsäule, deren Stein aus dem östlichen Mittelmeerbereich stammt und die späteren Quellen zufolge ein Geschenk Ottos III. an Bernward war. Damit war eine Gleichsetzung des Kreuzaltars mit dem Opfertisch im Vorhof des salomonischen Tempels hergestellt, der ebenfalls zwischen zwei Säulen (den Bronzesäulen Jachin und Boas) gestanden hatte. Über der Christussäule hing bis 1662 ein großer Radleuchter mit dem Porphyrkrug in der Mitte, der, von der Hochzeit zu Kana stammend, ebenfalls ein Geschenk Ottos III. an Bernward gewesen sein soll. Diese Verbindung von Säulenkreuz, Altar und Jerusalemleuchter hatte ihr Vorbild im Golgota, den man mit dem Vorhof des Tempels gleichsetzte. Auch hat der Abstand von ca. 42 m zwischen dem einstigen Standort der Christussäule und der Grablege Bernwards in der Westkrypta von St. Michael eine Analogie in der Entfernung, die laut Pilgerberichten in der Grabeskirche zwischen Auferstehungsrotunde und Golgota lag.
Während der Reformationswirren in Hildesheim wurde die Christussäule von Bilderstürmern 1544 ihres
bekrönenden Kreuzes beraubt. Es wurde zu einer Kanone eingeschmolzen, was für eine beträchtliche Größe spricht.
Nach Abriß des Ostchors der Michaeliskirche im Jahr 1650 und dem dadurch verursachten Einsturz der Ostvierung wurde 1676 auch das "etliche 100 Pfund schwere" Kapitell eingeschmolzen und durch ein Holzkapitell ersetzt, das durch gleiche Form und Aussehen über den Verlust hinwegtäuschen sollte. Ein Stich von Johann Ludwig Brandes überliefert, daß es mit Figuren versehen war. Da figürliche Kapitelle dieser Art im niedersächsischen Raum sonst erst im 12. Jh. auftauchen, ist die Möglichkeit erwogen worden, daß das eingeschmolzenen Kapitell nicht mehr das ursprüngliche bernwardinische gewesen, sondern daß letzteres während der Umbauten der Klosterkirche in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts erneuert worden war.
Daß der Rest der Säule in der Folge nicht - trotz seines Werts als Rohstoffquelle - eingeschmolzen wurde, verdankt sie vor allem ihrer jahrhundertelangen Geltung als Berührungsreliquie, da man sie vom hl. Bernward persönlich angefertigt glaubte.
Nach Säkularisierung des katholischen Klosters (1803) und Aufhebung der evangelischen Kirchengemeinde von St. Michael (1810) wurde in napoleonischer Zeit die Säule 1810 durch die private Initiative eines bischöflichen Beamten aufgekauft und wurde auf dem nördlichen Domhof zwischen Dom und Bischofshaus aufgestellt. 1870 erhielt sie durch den HildesheimerBildhauer Karl Küsthardt ein neues Bronzekapitell, das dem Holzkapitell oder dessen Abbildung nachgestaltet ist und dadurch mittelbar das Aussehen des alten Bronzekapitells bewahrt, das auf einem Kämpferblock den Bronzekruzifixus gehalten hatte. 1893 gelangte die Christussäule in den Hildesheimer Dom.
Am 30. September 2009 ist sie für die Dauer der Domsanierung, voraussichtlich bis Dezember 2013, zurück in die Michaeliskirche gebracht worden.
Es handelt sich um eine Triumphsäule, die Bernward in bewußter Nachahmung der Trajans- und der Mark-Aurel-Säule in Rom aus Bronze gießen ließ. Sind dort die Ruhmestaten der Kaiser in spiralförmig sich aufwärts windenden Bilderfriesen dargestellt, so sind es hier die Taten Christi, beginnend mit der Jordantaufe und endend mit dem Einzug in Jerusalem. Gekrönt wurde die Säule ursprünglich von einem Triumphkreuz.
Die Christussäule (Höhe 3,79 m, Durchmesser 58 cm) beeindruckt, abgesehen von der technischen Leistung, durch die für ihre Zeit ganz ungewöhnliche Lebendigkeit und Bewegtheit ihrer halbplastisch herausgearbeiteten Figuren.Thematisch ergänzt sie die Darstellungen der Bernwardstür, wo auf die Geburtsgeschichte Jesu sogleich Passion und Auferstehung folgen.
Beide Kunstwerke wie Bernwards Kunst- und Architekturschaffen insgesamt spiegeln sein Bemühen wider, seiner Bischofsstadt im Rahmen des von den Sachsenkaisern erneuerten christlichen Imperium Romanum die Stellung eines nordischen Rom zu geben und zugleich den Herrschern in Christus das Vorbild eines gerechten und gottverbundenen Königtums vor Augen zu stellen. Nicht zufällig wird auf der Christussäule das Drama um die Hinrichtung Johannes des Täufers mit dem schwachen und ungerechten König Herodes in auffallender Breite dargestellt.
Ein wesentlicher Hinweis auf die liturgische Bedeutung der Christussäule ist ihre ursprüngliche Anbringung auf der zentralen Mittelachse der St.-Michaels-Kirche in der Nähe des Kreuzaltares, weil dort die Kommunion ausgeteilt und das Sakrament aufbewahrt wurde. Innerhalb des Bildzyklus fällt eine Heraushebung der Evangelien zu den
Fastensonntagen auf, die historisch mit der Reform von Gorze und Cluny in Verbindung stehen dürfte. Dem entsprechen die Bezüge zur Fasten- und Bußliturgie, die auch im Bildprogramm der Bernwardsstür gefunden wurden.
Seit 1874 befindet sich in der Abgusssammlung des Victoria and Albert Museums in London ein Gipsabguss der Säule.
Die einzelnen biblischen Szenen auf der Christussäule:
Von unten nach oben:
Die Taufe Jesu durch Johannes den Täufer im Jordan
Jesu Versuchung
Die Berufung von Petrus und Andreas
Die Berufung der Söhne des Zebedäus Johannes und Jakobus)
Die Hochzeit zu Kana
Die Heilung eines Aussätzigen
Nicht eindeutig:
o Brandt: Messiasbekenntnis des Petrus
o Gallistl: Aussendung der Zwölf
o eher unwahrscheinlich: Einsetzung der Zwölf als Apostel
Jesus und die Samariterin am Jakobsbrunnen
Johannes (Täufer) Mahnrede vor Herodes und Herodias
Die Einkerkerung des Johannes (Täufer)
Der Tanz Salomes mit der Präsentierung des Hauptes Johannes des Täufers
Die Bitte des Synagogenvorstehers und die blutflüssige Frau
Die Heilung eines Blinden
Jesus und die Ehebrecherin
Auferweckung des Jünglings von Nain
Verklärung Jesu auf dem Berg Tabor
Nicht eindeutig
o Brandt: Jesus spricht mit seinen Jüngern
o Gallistl: Pharisäerrede Jesu
Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus - Lazarus am Tisch des Reichen
Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus - Der Reiche in der Hölle/Der Arme in Abrahams Schoß
Jesus und Zachäus
Jesu und der verdorrte Feigenbaum
Nicht eindeutig:
o Brandt: Die Heilung der zwei Blinden
o Gallistl: Krankenheilung am See Genezareth
Jesus rettet den sinkenden Petrus
Nicht eindeutig:
o Brandt: Wunderbare Brotvermehrung (Die Speisung der Fünftausend)
o Gallistl: Die Speisung der Viertausend
Maria und Marta, die Schwestern des Lazarus, vor Jesus
Jesus erweckt Lazarus aus dem Tod
Jesu Salbung in Bethanien
Jesu Einzug in Jerusalem
Text-Quelle:
Bildquelle:
- Ansichtskarten
- Foto / Bild
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