[1] Die Bernwardstür sowie die Christussäule waren ursprünglich nicht für den Dom bestimmt. Bischof Bernward hatte sie für seine Lieblingsschöpfung St. Michael anfertigen lassen. Erst sein Nachfolger Godehard änderte den Standort der Tür. Die für den Südausgang der St. Michaeliskirche bestimmte Tür wurde seit ca. 1030 am neuen, von Godehard erbauten Westeingang des Domes, als Abschluß seines monumentalen Paradieses nach dem Schiffe hin angebracht.
Zur Erinnerung ließ der Bischof nachträglich die Inschrift anbringen:
AN(NO) DOMINIC(AE) (INCARNATIONSIS) ∙ MXV BER(NWARDVS EPISCOPVS) DIV ∙ MEM(ORIAE) HAS VALVAS FVSILES |
INFACIE(M) ANGELICI TE(M)PLI OB MON(MENTVM) SVI FEC(IT) SVSPENDI
Das Vorbild zu dieser eigenartigen Schöpfung fand Bernward an der prächtigen Holztür St. Sabina (Rom). Jedoch mußte er schon in der Konstruktion wesentlich sich an das neue Material (Erz statt Holz) anpassen und teilte sie als sogenannte zweiflüglige Zweifüllungstür zunächst in vier Hauptfelder, von denen jedes wieder durch Querteilung in vier Einzelfelder zerlegt ist. Dies geschah um die 4,72 m hohen und 1,25 m breiten Türflügel in einzelnen Feldern offen gießen zu können und dann nachträglich an den Rändern zu verschweißen. Es ist auch kein Zweifel, daß sich der Gießer Bernwards über die notwendigen Stärken versehen hat, die Tür biegt sich durch und nur die modernen Rollen gestatten ihre gefahrlose Bewegung.
Das Wesentlichste aber ist der tiefe Inhalt, den Bernward den Kompositionen der Tür gab. Man muß dabei erwägen, daß damals noch ein großer Teil der Bevölkerung innerlich heidnisch war und es sich nun darum handelte, ihnen den tiefen ethischen Gehalt des Christentums, besonders aber Christi Persönlichkeit näher zu bringen. Als bestes Mittel für die vielfach ohne Kenntnis des Lesens und Schreibens aufgewachsenen Bewohner diente das plastisch bewegt dargestellte, Handlungen in starker Übertreibung des Ausdrucks wiedergebende Erzbild.
Die bildliche Darstellung ist denn auch hervorragend gelungen. Von meist einfachen Hintergründen heben sich die Szenen nach der Personenzahl möglichst einfach, in oben gänzlich von der Wandfläche abgelösten Körperformen ab, ihre Haltung und Tätigkeit allein verrät dem Beschauer schon den Inhalt der Handlung, in wenigen Fällen tritt für den Unterrichteten noch die Hilfe des beigegebenen Sinnbildes hinzu.
Der Inhalt der Tür ist gleich dem Vorbilde der von St. Sabina der folgende:
Links reihen sich von oben nach unten acht Szenen aus dem Alten Testament, von der Erschaffung des Menschen bis zum Sündenfall; rechts in umgekehrter Richtung die Geschichte der Erlösung der Menschheit durch den Opfertod Christi. Für die Gestaltung der Einzelszenen diente Bernward wahrscheinlich eine Handschrift, welche die Genesis behandelte, und die ihm auf einem Kriegszuge nach Frankreich wahrscheinlich in Tours als Geschenk überreicht wurde.
Zwecks eingehender Studien auf die obengenannten Werke verweisend, sei hier der Inhalt der einzelnen Szenen kurz beschrieben:
Linker Türflügel von oben nach unten:
Rechter Türflügel von unten nach oben:
Erstes Bild (von oben):
der Herr erweckt Adam nach der Erschaffung der Eva. Gott mit Heiligenschein als Mensch dargestellt, ihm gegenüber mit betender Armstellung; ebenso der begleitende Engel: Adam selbst liegt am Boden.
Achtes Bild: Christus, zum Himmel schwebend, gibt Maria Magdalena die Botschaft an seine Jünger. Christus mit dem Kreuzemblem als der Auferstandene gekennzeichnet; die Szene selbst in einem Garten, von Vögeln belebt.
Zweites Bild:
Der Herr führt Adam der Eva zu. Im Charakter einer Familienszene, Gott (größer in der Figur) liebevoll sich mit seinen Kindern (Geschöpfe) beschäftigend.
Siebentes Bild: Der Engel verkündet drei Frauen die Auferstehung des Herrn. Die Grabkammer leer, die Vorhänge verschlungen. Am Grabrande der Engel, mit schönen, großen Schwingen; die Frauen in bewegter Haltung, teils lauschend, teils erschreckt.
Drittes Bild:
Der Sündenfall; In drei Abschnitten auf dem gleichen Bilde. Die Verlockung Evas durch die Schlange, die Annahme und das Anbieten der Frucht durch Eva an Adam; endlich die Annahme des Apfels durch diesen. Als Verführer Adams der böse Geist in Gestalt eines Drachens.
Sechstes Bild: Christus am Kreuz. Ein Kriegsknecht sticht dem sterbenden Heiland mit der Lanze, ein anderer reicht ihm den Essigschwamm. Das Kreuz als Dattelpalmenstamm gebildet. Die Füße des Heilands wie auf dem kleinen St. Michaelkreuze auf einem Brett nebeneinander. Maria links, Johannes rechts.
Viertes Bild:
Gott richtet über Adam und Eva. Gott, mit Buch als Herr dargestellt, vor dem gebückt dastehenden Adam, der auf Eva als Anstifterin weist. Diese wieder zeigt auf den bösen Geist, als Drache mit Ringelschwanz dargestellt.
Fünftes Bild: Christus vor Pilatus. Zwei Männer führen Jesus. Pilatus sitzt auf dem Throne vor einer Gerichtshalle (Bogenhalle), der böse Geist, als Teufel symbolisiert, flüstert ihm ins Ohr.
Fünftes Bild:
Vertreibung aus dem Paradies. Erzengel Michael weist das erste Menschenpaar aus, die Paradiespforte dargestellt als Burgtor, Adam geht gefasst weg, während Eva noch immer fragend den Engel ansieht, ob ihm auch mit dem Urteil ernst ist.
Viertes Bild: Maria bringt Jesus zum Tempel. Links das Allerheiligste durch zwei Säulen mit Vorhang dargestellt, vorne der Hohepriester Simon, Maria gibt ihm das Kind, während rechts eine Figur eine Taube als Opfergabe darbringt.
Sechstes Bild:
Die Arbeit, das irdische Los der Menschen. Adam bearbeitet den Acker mit der Hacke, während vor einem Zeltplan Eva Mutterpflichten erfüllt und ihr Kind stillt. Der Engel bringt Adam die Anweisung über die Bearbeitung des Bodens.
Drittes Bild: Die heiligen drei Könige. Herantretend deuten sie auf den Stern und bieten der Maria Gaben, Weihrauchskapseln dar.
Siebentes Bild:
Opfer Kains und Abels. Die Hand Gottes erscheint aus einer Strahlenkrone (Nimbus), links Abel, ein Lämmchen darbietend, während Kain eine Korngarbe opfert.
Zweites Bild: Die Geburt Jesu. Maria auf einem Ruhebett, ihr zu Füßen die Hebamme Salome, Josef seitlich, von der Reise ermüdet auf einem Taburett sitzend. Das Kind in der Krippe ist für sich rechts oben dargestellt. Im Hintergrund die Stadt Bethlehem, Ochs und Esel lugen neugierig in den Stallraum hinein. Das Bild ist besonders interessant, weil hier der Künstler die Tiefen des Reliefs durch Eindrehen in die Fläche als von oben gesehen darstellt.
Achtes Bild: Der Brudermord. Wieder sind zwei Augenblicke auf einer Tafel dargestellt. Kain erschlägt den niederstürzenden Abel mit der Keule, und vernimmt aus den verhüllenden Gewitterwolken das Strafgericht Gottes.
Erstes Bild: Verkündung der Maria. Im Innern eines Hauses erwartet Maria, geblendet durch die Erscheinung des Engels, demütig die frohe Botschaft.
Textquelle: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 1, Kapitel 4: Kirchliche Bauten; Selbstverlag, Hannover
1911; Seite 61ff
Bildquelle: http://www.raymond-faure.com/Hildesheim/hildesheim.htm
[W] Die Bernwardstür ist eine um das Jahr 1015 datierte zweiflügelige Bronzetür im Westportal des Doms.
Ihr reicher biblischer Figurenschmuck, der Szenen aus dem 1. Buch Mose und dem Leben Jesu Christi einander gegenüberstellt, gilt als erster Bildzyklus der deutschen Plastik. Aus konservatorischen Gründen sind die Türflügel heute mit der Bildseite nach innen angebracht; einst aber wiesen sie nach außen und stellten so dem Ankommenden die porta salutis, die Tür zum Heil vor Augen. Die Tür, die ihren Namen nach ihrem Auftraggeber, Bischof Bernward, erhielt, gilt als eines der Hauptwerke der ottonischen Kunst.
Die Türflügel wurden jeweils aus einem Stück gegossen. Angesichts der Maße (links 472,0 x 125,0 cm, rechts 472,0 x 114,5 cm, maximale Stärke ca. 3,5-4,5 cm) und des enormen Gewichts (jeweils etwa 1,85 t) der Türflügel, ist dies für damalige Zeiten eine große handwerkliche Leistung. Als Rohmaterial für das Gießen diente Rotguß, der vorwiegend aus Kupfer (über 80%) sowie zu etwa gleichen Teilen aus Blei, Zinn und Zink besteht. Die bisherigen Materialanalysen konnten allerdings nicht klären, aus welcher Erzlagerstätte die verwendeten Metalle stammen; die seinerzeit bereits belegte Hütte am Rammelsberg bei Goslar scheidet jedenfalls aus.
Wie ihre Vorgänger in Aachen und Mainz wurde die Bernwardstür im Wachsausschmelzverfahren hergestellt, das höchste Ansprüche an die Arbeiter der Gießwerkstätte stellte, da die Gußform nur einmal verwendet werden konnte. Die einzelnen Szenen des Bilderzyklus wurden von den Modelleuren aus massiven Wachs- oder Talgtafeln heraus geschabt und erst danach, gestützt durch ein Eisengerüst, zusammengesetzt; dadurch entstanden vermutlich auch die leichten Unregelmäßigkeiten in der Bänderung, die die einzelnen Darstellungen unterteilt. Auch die Türzieher in Form von fratzenhaften Löwenköpfen mit Gnadenring wurden nicht nachträglich aufgelötet, sondern waren schon auf der Wachsform vorhanden. Technische Analysen haben gezeigt, daß man die Lehmform auf der Längsseite stehend mit Bronze befüllte, damit sich das flüssige Metall gut verteilen konnte. Nach- bzw. Überfanggüsse an den Türen belegen, daß sich beim Auskühlen Risse im Metall gebildet hatten. Der erkaltete Rotguß der Türflügel war vermutlich noch recht grob, von Metallgraten an der Stelle der Abfluß- bzw. Abluftkanäle in der Lehmform übersät und mußte noch in großem Umfang durch Ziselieren nachbearbeitet werden.
Die Tür ist zusammen mit der Christussäule Teil der Bemühungen Bischof Bernwards, durch künstlerische Spitzenleistungen seiner Bischofsstadt im Rahmen der von den Sachsenkaisern angestrebten Erneuerung des Römischen Reiches eine kulturelle Vormachtstellung zu verschaffen. Eine lateinische Inschrift auf dem mittleren Querrahmen, die noch zu Bernwards Lebenszeit einziseliert wurde, weist das Jahr 1015 als Terminus ante quem für die Herstellung der Türen auf:
„AN[NO] DOM[INICE] INC[ARNATIONIS] M XV B[ERNVARDVS] EP[ISCOPVS] DIVE MEM[ORIE] HAS VALVAS FVSILES IN FACIE[M] ANGELICI TE[M]PLI OB MONIM[EN]T[VM] SVI FEC[IT] SVSPENDI“
(Im Jahre des Herrn 1015 ließ Bischof Bernward − seligen Angedenkens − diese gegossenen Türflügel an der Fassade des Engelstempels zu seinem Gedächtnis aufhängen.)
Die Türflügel entgingen dem Bombenangriff auf Hildesheim am 22. März 1945 nur, weil sie auf Initiative des Domkapitels bereits knapp drei Jahre zuvor zusammen mit zahlreichen anderen Kunstwerken der Ausstattung ausgelagert worden waren. Die tonnenschweren Türflügel mußten damals, auf den Längsseiten liegend und in ein stabiles Holzgerüst eingespannt, von zwei Pferdegespannen auf einem Rollwagen zum so genannten Kehrwiederwall im Südosten der Altstadt gezogen werden, wo sie in einem unterirdischen Gang den Krieg überdauerten.
Text-Quelle:
Bildquelle:
- Ansichtskarten
- Foto / Bild
Zurück → Dom Zurück → Kunstwerke des Mariendoms