Die St. Andreaskirche (Bild Grundriss) bildet eine dreischiffige Basilika mit um den fünfseitigen Chor als Umgang geführten Seitenschiffe und nach Osten anschließendem Kapellenkranz. Seitenschiff und Umgang sowie Kapellen sind mit Kreuzgewölben, das Schiff ist flach gedeckt. An die vier quadratische Joche der Seitenschiffe schließen sich nach Westen zwei weitere, welche den ältesten Teil der Kirche, den ursprünglichen Westbau der romanischen Anlage (in Bild schwarz), umfassen. Von diesem, der eine monumentale Eingangshalle enthält, liegt der durch einen Vorraum getrennte eigentliche spätgotische Westturm, der im oberen Teile erst im 19. Jahrhundert vollendet wurde. Diese Anordnung ergibt, das die alte Westseite erst nach Herstellung der neuen abgerissen und dann das Schiff nach West ausgebaut werden sollte.
Die Maße des Baues sind außergewöhnlich groß: Größte Länge 78 m, Breite 35 m, Spannweite des Schiffes 16,4 m, Höhe bis zur Decke 27 m, Höhe der Gewölbe der Seitenschiffe 10,22 m, Höhe bis Dachstuhlfirst 43,80 m. Der Flächeninhalt des Baues beträgt ca. 2600 qm, das doppelte gegenüber den sonst in Hildesheim üblichen Abmessungen (St. Michael rund 1150 qm).
Nach Süden schließt sich an das östliche Joch des südlichen Seitenschiffes ein zweistöckiger Sakristeibau an.
Der um drei Stufen höher liegende Chor (Bild rechts) ist der bautechnisch hervorragendste Teil der Kirche. Die vier, ca. 4,2 m tiefen Strebpfeiler der fünf äußeren Zehneckseiten des Unterbaues sind vollkommen ausgenutzt als die seitlichen Widerlagerwände angebauter fünfseitiger Kapellen. Drei ihrer Seiten verspannen sich frei zwischen den Strebepfeilern und sind mit dreiteiligen Maßwerksfenster mittelgotischer Art durchbrochen. Die Füllung des Bogens besteht aus je drei Dreipässen.
Die Profilierung der Fensterpfosten besteht aus Hohlkehlen. Die Decken der Kapellen und des Umganges sind als einfache Kreuzgewölbe mit Rippen aus Hohlkehle und drei Schrägen gebildet, welch aus den halbkreisförmigen inneren Schmalseiten der Strebepfeiler direkt aus dem Pfeiler, ohne Vermittlung von Kapitellen herauswachsen. An den freistehenden Pfeilern des Umganges sitzen die Rippen auf kurzen Diensten auf, welche mit Laubkranzkapitell und ebensolchem Konsol geziert sind. Die Gewölbeschlußsteine der Kapellen zeigen von Nord nach Süd gezählt: Hildesheimer Wappen, Pelikan, St. Matthäussymbol (Engel), St. Johannessymbol (Adler) sowie eingemalter Engel mit Jahreszahl 1849.
Die des Umgangs in gleicher Richtung: städtisches Wappen, Löwe (Christus), St. Markussymbol, St. Lucassymbol (Ochse).
Die übrige Behandlung des Chores ist im Inneren sehr schlicht; nur die erwähnten Pfeiler haben einen zweimal aufgetreppten, ins Achteck übergehenden Sockel, dessen oberes Profil aus Schräge, Hohlkehle und Wulst besteht, während die untere Ausbildung durch Schrägen bewirkt wird. Die Fenster haben glatte, geschrägte Teilungen. Die Wandflächen sind rau verputzt.
Im Äußeren wirkt dieser Chor (Bild links) außerordentlich malerisch durch das System der Strebebogen. Sie steigen von den starken Strebepfeilern schräg an, am Fuße durch Fialen nach außen und einen höheren fialenbekrönten Pfeiler nach innen kräftig abgestützt. Der weit gespannte Bogen wird in halber Höhe unkonstuktiv durch einen zur inneren Flucht der Hauptstrebepfeiler gehenden Bogenarm abgestützt; die breite Fläche des Strebebogens an der Oberwand ist durch eine runde Öffnung belebt.
Die Oberwand ist durch schwach nach außen vorgelegte, glatt aufsteigende Pfeiler gegliedert; die vierteiligen Fenster zeigen reich durchgebildetes Maßwerk. Der Oberteil wirkt daher nach innen sehr leicht und kühn; jedoch ist ein weniger glücklicher Umstand der verhältnismäßig hohe Ansatz der Dächer des Umganges, welche als Pultdächer gebildet sind. Ursprünglich scheint (siehe Querschnitt) eine Anordnung nach Art selbständiger Kapellendächer geplant gewesen zu sein, denn die fenster zeigen im unteren Teile eine weitere Hinabführung der inneren Schräge, so daß eine durch Steinbogen nach oben abgeschlossene Nische entsteht, welche als eine Art Triforium wirkt und wohl Blendmaßwerk erhalten sollte. Diese Nischen sind jetzt vermauert, doch erkennt man aus den ornamentierten Wanddienstringen noch die Lage des Absatzes des ehemaligen unteren inneren Umganges, der wohl nicht in der üblichen Weise – mit schmalen Durchgängen hinter den Wanddiensten – beim Aufbau zur Durchführung kam.
Wie aus dem Querschnitt weiter ersichtlich, wurde die Absicht einer Einwölbung während des Aufbaues verlassen; statt dessen die drei Wanddienste jedes Chorwinkels, welche für Diagonal- und Gurtrippen im unteren Aufbau vorgesehen waren, glatt hochgeführt und in Höhe des Anfanges der Fensterbogen mit kämpferartigen Abschlüssen gekrönt, von denen aus sich die Vouten der gemalten Holzdecke des 17. Jahrhunderts verspannen.
Das vierjochige Mittelschiff der Kirche (siehe Querschnitt oben), ursprünglich auf Gewölbe berechnet, ist sehr schlicht behandelt. Die Scheidebogen sind nur stark geschrägt, der Rundpfeiler mit vier Diensten entwickelt sich, wie am Chor, aus ins Achteck übergehenden Sockeln; der Kämpfer wird von einem Laubkranz gebildet. Wesentlich anders ist die obere Wand in den Fenstern. Das erste Joch von Osten hat zwei niedrige dreiteilige Fenster, die übrigen Joche je nur eines von beträchtlicher Höhe und Breite. Die Maßwerke aus der späten Mittelgotik, noch ohne Fischblasen.
Die Decke des Mittelschiffs ist als flaches Spiegelgewölbe mit Stichkappen konstruiert, und enthält ein kleines Bild über dem Chor sowie ein großes Mittelbild und je ein kleines Bild nach Ost und West über dem Mittelschiff.
Das Bild über dem Chorachteck stellt dar: Mariä Heimsuchung, das der Mitte, fast zwei Drittel des Mittelschiffes einnehmend, Christi Auferstehung. Von diesem durch einfache Stuckatur getrennt, nach Osten: Christi Geburt; nach West: Die Ausgießung des Heiligen Geistes (= Pfingsten). Hinter dem Orgelprospekt: Gott Vater und die Inschrift: RENOVATUM 1720.
Demnach dürfen wir die Gemälde setzen in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts; gleichzeitig wohl mit den älteren Teilen der Orgelbühne. Der Maßstab der Bilder ist groß, diese selbst sind derb behandelt, aber von guter Wirkung im Gesamtorganismus des Kirchenraumes. Der Stuck ist nach Angabe von Stadtsuperintendent Juhle von Italienern ausgeführt, welche die Stadtkirche in Celle herstellten.
An den Wänden des Langhauses auf Konsolen die zwölf Apostel, in Stil und Haltung denen des Altars verwandt.
Unter der Orgel eine zur frühromanischen Halle des alten Westturmes führende Tür; im Stil der Frührenaissance entworfen (wohl gleichzeitig mit der Orgel); reich geschnitzt. In der Attika, die ganz in Ornament und Wappenwerk aufgelöst ist, zwei Schilde mit springendem Pferd und Hahnenfuß sowie die Umschrift:
OMNIBUS IN REBUS MORTALEM RESPICE FINEM.
Bildquelle: Von Herbert Weber, Hildesheim - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=20410988
Die anstoßenden Felder der Seitenschiffe sind im Grundriß quadratisch. Die überdeckenden Kreuzgewölbe sind mit Birnstabrippen versehen. Charakteristisch ist das Vorziehen der Strebpfeiler nach innen. Es entstehen hierdurch kleine mit spitzbogigen Tonnen gewölbte Hallen, welche der Architekt geschickt für die Anlage von Portalen ausgenutzt hat. Im nördlichen Seitenschiffe zeigen die Schlußsteine einen geteilten Schild, oben Wappen der Stadt, unten geviertelt, rot, (gelb) Gold; im südlichen der aufgemalte, geviertelte Schild, rot und gelb.
Das nördliche Seitenschiff:
Im nördlichen Seitenschiff liegt im östlichen Joch eine kleine, mit zwei niedrigen Kreuzgewölben gedeckte Eingangshalle, darüber ein hoher Raum, durch eine Wendeltreppe zugänglich, zu der ein reich in Stabwerk gebildetes Portal führt.
Zwei rundbogige, durch einen Pfeiler getrennte Türen mit hübschen Schmiedewerk, frei getriebene Rosen usw., führen in diese Halle; die Verdachungen der Stütze als Eselsrücken gebildet. An der Ostwand der Halle das städtische Wappen, daneben eine Gedächtnistafel an die Feier des ersten evangelischen Gottesdienstes in gotischen Minuskeln:
Anno dṅi 1542 senatus populusque hildesemensis
syncerum Christi evangelium amplexi sunt.
Die mittlere und westliche Tür der Südseite sind flachbogig überwölbt, sonst einfach gehalten. Die Fenster sind, wie in der Oberwand, vierteilig, in den Türjochen oberhalb der Kreuzblume der Eselsrücken des Türbogens horizontal mit Schräge abgeschlossen. Die Eselsrücken ruhen bei allen Türen auf seitlich angeordneten als Köpfe ausgebildeten Konsolen.
Das südliche Seitenschiff mit Sakristei:
Reicher als die Nordseite ist die Südseite ausgebildet, insofern hier im östlichsten Joche in geistvoller Weise ein zweistöckiger Sakristeibau von quadratischem Grundriß und 6,5 m Lichtweite eingefügt ist. Die untere Halle dieses Anbaues ist mit einem Sternengewölbe auf einer Mittelsäule überdeckt und durch eine Tür von der Kirche aus zugänglich, die obere flachgedeckte Halle, welche sich mit zwei Fenstern nach der Kirche öffnet und als Sitzungszimmer des Kirchenvorstandes dient, erhält ihren Zugang durch eine Wendeltreppe in der Nordwestecke.
Das Gebäude ist außen gegliedert durch zwei Strebepfeiler mit zwei schlanken Säulchenschäften, auf denen die Steinfiguren des Erzengels Gabriel und der heiligen Maria stehen, von Baldachinen überdeckt.
Das Fenster zwischen diesen Pfeilern ist etwas höher als die seitlichen, und dreiteilig, die übrigen sind zweiteilig. Das Obergeschoß erleuchten zwei nach Art profaner Gotik flachbogig abgedeckte dreiteilige Fenster.
Die Wendeltreppe verrät sich nach außen nur durch die schief ansteigenden Fenster. Die anstoßende Vorhalle mit unvollendetem Gewölbe und interessanten Resten seitlicher Standbildernischen enthält eine Holztreppe zu einem Obergeschoß, welche eine Bibliothek beherbergt.
Die Türflügel dieser Vorhalle sind aus dem 18. Jahrhundert und trägt der Steinsturz der eingebauten Umrahmung die Jahreszahl: ANNO 1732. Die beiden übrigen Türen der Südseite sind infolge des stark fallenden Terrains durch große Freitreppen zugänglich, jedoch ist die westliche unbenutzt. Die Leibungen außen geschrägt, mit Hohlkehlen und drei Birnstäben; der Sturz als Eselsrücken mit Kreuzblume ausgebildet. Die westlichste Tür zeigt im Scheitel des Bogens ein Schildchen mit Steinmetzzeichen, darüber als Krönung der spitzbogigen Verdachungen eine bärtige Figur ohne Attribut, zu den Seiten zwei Wappen: v. Kramme und v. Stöcken.
Die ältere innere Westseite:
Die allein übrig gebliebene Westfront der ältesten Kirche ist eine schlichte, aber sehr monumentale Anlage (Bild rechts). Der Mittelteil, als rechteckiger Turm von 8,55/6,22 m Außenmaß und einer Gesamthöhe von 28,83 m baut sich über einer stattlichen (4,15 + 3,16 m) hohe Vorhalle in 5 Geschossen auf. Die Halle ist tonnengewölbt, nach Westen durch eine auf zwei Säulen und Wandpfeilern ruhende eingebaute Bogenstellung in Quaderwerk geschlossen, während nach oben eine zweimal abgetreppten monumentale rundbogige Pforte von 2,75 zu 5,50 m sich öffnet. Sie ist durch den 2,4 m höher liegenden Fußboden des gotischen Baues teilweise ausgefüllt, eine neue Treppe führt in die Vorhalle selbst.
Über der Vorhalle liegt ein durch eine 2,80 zu 3,30 m große rundbogige Pforte nach innen geöffnetes Geschoß, in dem noch zwei kleine seitliche Fensterstellungen mit Mittelsäulchen nach Osten erhalten sind. Die innere Füllung dieser großen Öffnung fehlt, da die Bälgenkammer der Orgel hindurchgebaut ist. Von den seitlichen Fenstern ist ein kleiner Rest, ein Kämpferstück nebst Kapitell – aus einem Stück – noch gut erhalten, die Basis zeigt Eckblätter.
Im zweiten Geschoß führen von seitlichen Treppenräumen Türen in den Mittelraum, jedoch war von Anfang an nur die nördliche Spindel bis zu dieser Höhe ausgebaut, die südliche führt nur bis zu der Halle im ersten Stock.
Das dritte Geschoß ist nach Westen durch eine stattliche Galerie geöffnet in sechs Rundbogen, von Säulchen und einem Mittelpfeiler getragen. Die Kapitelle zeigen die ausgebildete Würfelform, die Basen haben Eckblätter. Daher wird diese mächtige Turmfront erst nach 1100 entstanden sein, nach dem Vorbild der Domwestseite.
Die jüngere Westseite:
Die äußere jüngere Westseite (Bild rechts) mit der Turmpartie umschließt den älteren Westturmabschluß. Die Verbindung mit den Hochwänden des Mittelschiffes geschieht durch Bogen, welche über die abgeschrägte ehemaligen Pultdächer der seitlichen Treppen hinwegsetzen.
Der untere Teil der Westseite entwickelt sich über einem entsprechend dem starken Terrainabfall abgesetzten profilierten Sockel, der sich durch die Last des neuen Turmaufbaues auf die Länge der Westturmbreite um 7 cm gesetzt hat.
Der Turm selbst gliedert sich in ein von vier Lisenen geteiltes Untergeschoß. Darüber sitzt ein niedriges Zwischengeschoß, oben ein Glockenhaus mit drei Fenstern Front, die Plattform ist mit Maßwerkbrüstung und Fialen über den Lisenen versehen. Über diesem Umgang erhebt sich ein gewaltiges Turmdach, das als Kombination eines achteckigen Dachlösung und der stattlichen Höhe von 118 m ist das Wahrzeichen von Hildesheim. Er wurde nach den aus einem Wettbewerb siegreich hervorgegangenen Entwürfen des Architekten M. Kolde 1883-87 durch Stadtbaurat Schwarz errichtet.
Das Untergeschoß der Westseite schmückt ein reich gegliedertes Portal mit Eselsrücken, Krabben und der Figur der heiligen Maria auf dem Konsol der Kreuzblume. Seitlich stehen in rechteckigen Vertiefungen die von zwei Engeln gehaltenen schräggestellten quadrierten Schilde des Stattwappens.
Direkt über dem Marienbilde ist eine kleine Fensterrose mit spätgotischem Maßwerk unter einer Verdachung, ebenfalls auf Eselsrücken mit Kreuzblume. Darüber sitzt ein hohes fünfteiliges Langfenster mit Fischblasenmaßwerk.
In Nischen seitlich des Portals stehen auf Sockel rechts und links die heiligen drei Könige mit den Beischriften:
rex ∙ melchior 1515; rex ∙ balthas. 1515; rex jaspar 1515.
Die rohen Türflügel sind ohne Beschlag. In den Seitenfeldern der dreigeteilten Front sind zwei große Nischen für Figurenschmuck vorgesehen, ebenso vier Konsolen und Baldachine für Figuren von den Lisenen. Die Seitenschiffsgiebel zeigen dreiteilige Fenster, wieder mit Eselsrückenverdachung sowie über dem Sockel – nahe an den Ecken – kleine verzierte Rahmen für plastische Bildwerke.
In dem linken (nördlichen) Rahmen ist eine Grablegung Christi dargestellt (Bild links). Seitwärts von ihr weist die in Linien eingravierte Zeichnung einer Hand auf die zugehörige Inschrift auf der Wand:
1505. – Da reg’em cunctis de9(nuv). hic et utique sepultis.
vt sind in r’quie p(er)p€tua vulnera quique. amen.
Demnach bezieht sich das Relief auf den Friedhof, der ehemals auf dem Gebiete des jetzigen Kirchplatzes um die Kirche sich herumzog.
Das Relief selbst ist eine ganz vortreffliche Arbeit. Christus wird in einen Sarkophag, dessen Langseiten gotische Blenden zeigen, eingebettet. Hinter dem Sarge stehen Frauengestalten, eine mit einem Myrrengefäß. Die ganze Komposition ist sehr glücklich in den Figuren verteilt, die Gewänder einfach und ohne übertriebenen Faltenwurf, die Gesichtszüge weich und edel gestaltet.
Im Bogenschluß der Blende eine kleine Darstellung von Gott Vater mit der Weltkugel und langem Lockenhaar, dem antiken Zeuskopf in der Auffassung ähnelnd.
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Text- und Bildquelle: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 1, Kapitel 4: Kirchliche Bauten; Selbstverlag,
Hannover 1911; Seite 158ff
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