von Walther Tuckermann
Von der Bevölkerung, die Hildesheim im 11. Jahrhundert hatte, stammt ein großer Teil zweifellos aus Eingewanderten. Dem Zuzug Auswärtiger, insbesondere höriger „Elemente“, leistete der bereits im ersten Stadtrecht von 1249 ausgesprochene Grundsatz Vorschub, daß derjenige, welcher Jahr und Tag sich unangefochten in der Stadt aufgehalten hebe, frei sein solle und nicht von seinem früheren Herrn zurückverlangt werden könne. Wir finden unter den eingewanderten Bürgern viele, deren Name auf ihre alte verlassene Heimat schließen lassen. So unterzeichneten die erste Urkunde des aufstrebenden Bürgertums im Jahre 1217 im Gemeindehaus (in domo communionis) ein Arnold von Minden, ein Heinrich von Hameln und ein Eberhard von Eggenstedt.
Wenn im Folgenden der Versuch gemacht wird, das ungefähre Verbreitungsgebiet, aus dem Bewohner in die Stadt Hildesheim wanderten, festzustellen, so kann diese Aufzählung nicht den Anspruch auf Vollständigkeit machen, da es in manchen Fällen schwierig ist, die heutige Bezeichnung der urkundlich erwähnten Ortsnamen ausfindig zu machen.
Zunächst liegen der Untersuchung der Listen der Neubürger von 1379 bis 1450 zu Grunde, doch wurde tunlichst auch auf ältere Namen der bürgerlichen Kreise zurückgegriffen. Naturgemäß trägt Niedersachsen den Löwenanteil an der Einwanderung: und in dieser weiten Landschaft weist das Hochstift Hildesheim die meisten Orte auf, welche für Hildesheimer Bürger den Namen abgaben,
Neben dem Hochstift sandten begreiflicherweise die benachbarten braunschweig-lüneburgische Lande die meisten Einwanderer in die Stadt. So finden wir aus dem südlichen, von dem Hauptlande fast getrennten Teil Orte vertreten.
Eine vornehme Familie (Westfal) nannte sich nach der Landschaft Westfalen. Nach sonstigen Landschaften nannten sich die Hesse, dann die sehr angesehenen Frese und die ebenfalls einflussreichen Sasse. Unter den Ratsmännern des Jahres 1340 befinden sich Vertreter der Westfal, Frese und Sasse.
Leider sind wir über die Zahl derjenigen, welche in der älteren Zeit das Bürgerrecht erwarben, nicht unterrichtet. Immerhin wird sie sich noch in bescheidenen Grenzen gehalten haben. Seit dem Jahre 1379 informieren uns die Stadtrechnungen über die Zahl der Aufnahmen. Danach erwarben zwischen 1379 und 1450 1304 Personen das Bürgerrecht.
Dabei ist in Anschlag zu bringen, daß dieselbe wesentlich größer sein würde, wenn nicht für elf Jahre die Rechnungsablagen fehlten. Zudem liegen für mehrere Jahre nur halbjährliche Rechnungen vor. In den letzten Jahren, zur Mitte des 15. Jahrhunderts hin, hält sich die Skala der Bürgeraufnahmen auf geringerer Höhe. Man hat für diese Zeit auch in anderen Städten eine Abnahme der Bewerbungen konstatiert.
Das Bürgerschaftsgeld, welches in der älteren Zeit die Bewerber dem Rat entrichten mußten, betrug ein Ferding (1/4 Mark). Seit dem Jahre 1427 beläuft sich seine Höhe auf 13 Schilling 4 Pfennig, seit 1441 endlich auf 10 Schilling neuer Pfennige.
Zweifellos waren viele der Eingewanderten Hörige, z.B. der geistlichen Stifter. Gerade diese stellten ein starkes Kontingent zu der Verstärkung des städtischen Bürgertums. Hielten die Unfreien sich ein ganzes Jahr unangefochten (unbescholten) in der Stadt auf, so werden sie wohl nicht nur die Hörigkeit abgestreift haben, sondern auch das Bürgerrecht erlangt haben, wenn sie darum nachsuchten und die vorgeschriebenen Abgaben entrichteten. Indes kam es in Hildesheim am Ende des 13. Jahrhunderts vor, daß die Stadt Unfreie vor Ablauf des einjährigen Aufenthaltes zu Bürgern annahmen.
Diesem Zustand suchte ein Vertrag zwischen Stadt und Bischof vom Jahre 1318 abzuhelfen. Danach verpflichtet sich die Stadt, auf alle Hörige und Eigenleute, de bur unde borghere sin to Hildensem, zu verzichten. Fürderhin sollen nur solche Bewerber das Bürgerrecht erhalten, welche sich ihre Hörigkeit entledigt haben und dere rede vriy sind. Sie leisteten einen Eid, der ihre freie Abstammung bekräftigt. Wir können also keine Bedenken tragen, anzunehmen, daß es vor diesem Vertrag unfreie Bürger, und darunter gewiss auch Handwerker, gab, die für den öffentlichen Markt arbeiteten.
Erkannte noch das deutsche Stadtrecht von 1300 analog dem älteren von 1249 die Ungültigkeit der Rückforderungsklage nach Ablauf eines Jahres an, so wird jetzt ein zweijähriger Aufenthalt in der Stadt als Grundbedingung für die völlig unanfechtbare Freiheit Höriger vereinbart. Bemerkenswert ist, daß der Neubürger den von der Stadt ausgestellten Bürgerbrief vom bischöflichen Unterkustos besiegeln lassen muß.
Wir besitzen auch einige Beispiele für diese Besiegelung, indes scheint sie praktisch von geringer Bedeutung gewesen zu sein. Fraglich ist es immerhin, ob sie in der späteren Zeit noch gehandhabt wurde.
Textquelle: W. Tuckermann: „Das Gewerbe der Stadt Hildesheim bis zur Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts“; Inaugural-Dissertation;
Berlin 1906; ; Druck: E. Ebering Berlin; Seite 13f