auch: Storrehaus
[1] Rathausstraße Nr. 21; Haus Wedekind (Bild 1-2); Großer, nach dem Markte symmetrischer, viergeschossiger Bau von zehn Spann Länge, in der Mitte zweigeschossiges über Dach geführtes Zwerghaus mit Giebel und Bodenluken nebst Aufzug; rechts und links dreiachsige, ab Terrain aufgebauter Erker durch alle Stockwerke.
Der Bau ist überreich geziert, dadurch in der Wirkung unruhig; stilistisch in drei Ordnungen aufgebaut, also eng an den Kanon der Renaissance sich anlehnend.
An den Erkern, deren Fenster übrigens neu sind, stehen frei komponierte korinthische Dreiviertelsäulen, mit Fruchtgehängen am Schaft, reich verziertem unteren Drittel, auf steinernem Unterbau, dessen Postamente in Erinnerung an das cave canem der Antike, Hunde, Löwen- und Menschenmasken mit Ringen im Maule zeigen. Im ersten Stock stehen – als einziges Beispiel in Hildesheim – doppelte korinthische Kandelabersäulchen, im zweiten Stocke doppelte jonische, im Giebeluntergeschoß einfache korinthische, in den Erkern des dritten Geschosses einfache jonische Pilaster.
Die Füllhölzer sind besonders betont, im EG mit doppelter Schiffskehle und einfassenden Perlstäbe, im OG mit starken Wülsten aus Viertelkreisen mit aufgelegtem Tauwerk (wie Osterstraße 49), oben doppelte Konsolenreihen.
Die Setzschwellen sind am oberen Rande mit Zierleisten benagelt, und zwar: im EG und ersten Stock mit karniesartigen Blattfriesen, in den oberen mit (zu breit gezeichneten) Konsölchen mit Perlstäben. Die Giebelschrägen zieren – ganz römisch – steigende schwach ausladende Konsolenreihen.
Ebenso überladen wie die architektonische Gliederung ist der bildnerische Schmuck, der im Wesentlichen sich an die Darstellung der Elemente der Tugenden (virtutes), der Laster (Todsünden) und der sieben freien Künste hält.
Die acht Virtutes treten vollständig auf, statt der patientia die prudentia.
Im Einzelnen sind es folgende Gestalten:
JVTITIA, halbliegende Frauengestalt mit Schwert und Wage
CARITAS, desgl. zwei kleine Kinde behütend
SPES, desgl. mit Anker im Arm, Taube auf der Hand
PRVDENTIA, desgl. mit Spiegel und Schlange in der Rechten
FORTITVDO, desgl. mit gebrochener Säule, einen Löwen zähmend
TEMPO€RANTIA, desgl. aus einer Kanne in eine Schale gießend
PATIENTIA, desgl. mit Palme und Lamm
FIDES, mit Kreuzstab und Schale.
Die sieben freien Künste sind ebenfalls sämtlich dargestellt durch Frauengestalten in halbliegender Stellung:
GRAMMATICA, mit Schlüssel und Buch (Rechentafel)
DIELECTICA, mit Rolle
RHETORICA, mit Buch
ARTHMETICA, mit Rechentafel
MVSIKA, mit Leier und Posaune
GEOMETRICA, mit Zirkel
ASTROLOGIA, eine Erdkugel in der Hand und mit einem Stabe deutend.
Eine weitere Figur dieser Reihe, zwischen GEOMETRICA und ASTROLOGIA gibt die Jahreszahl 1598 an.
Im Zwerghaus sind in den Brüstungen zu oberst dargestellt: links der Hausherr, rechts die Hausfrau. Beide bilden die Seele des Hauses, sie sind bildlich angedeutet durch Brustbilder einer Frau in Patriziertracht und eines geharnischten Mannes an den oberen Seitenpfosten der Luke im Zwerghaus.
Darunter stehen links: DIES und NOX, Tag und Nacht, die Zeiten, symbolisiert durch springende Pferde als Andeutung des raschen Weiterschreitens; rechts: Löwe und Greif. Unter beiden Gruppen weiter unten: links ein Türke, dann ein Flötenspieler; rechts: Dudelsackpfeifer und christlicher Krieger.
Im obersten Geschosse der Front (durch die Erker durchlaufend) von links nach rechts dargestellt die sieben Laster (Todsünden), sowie die Elemente: TERRA (mit Turm in der Hand), AQVA (ein Schiff in der Hand), AVARITIA (mit zwei Säcken neben sich, Krüge in der Hand), AER (auf einem Schlitten durch die Lüfte fahrend), PIGRITIA (einen Esel fütternd), IGNIS (ein Feuerbüschel in der Hand).
Dann folgen wieder Mann und Weib, zwischen beiden das Wappen von Hildesheim (oben Adler, unten geteilter Schild gold-rot). Nach rechts weiter: SVPERPIA (mit Handspiegel), LVXVRIA (mit Geißbock ? und Jagdfalken in der Hand), GVLA (mit gefüllter Schüssel und Kanne), INVIDIA (Schlange in der Rechten), IRA (im Harnisch, ein Schwert schwingend). Im zweiten Geschosse: sind wieder vier freie Künste, nämlich: Hirsch – GRAMMATICA – DIELECTICA – RHETORICA – Hirsch ARITHNETICA, dargestellt, anscheinend eine Anspielung auf die Gelehrsamkeit des Erbauers.
Auf zwei (moderne) Inschriften: Erbaut 1598, Wiederhergestellt 1900, folgt die Figur eines Trinkers, dann weiter drei freie Künste GEOMETRICA, dann (ohne Beischrift) eine nicht deutbare Figur; die Bauinschrift: 1598 dann die ASTROLOGIA.
In der Setzschwelle steht die Inschrift:
Wol Godt vor Trvvet
Hefft woll gebvwet;
Dat Ohme nithe rowet
Wath der Leiffe Godt Bescheret
Dath blifft alles Vngewereth
Min anvanck vnd min Ende
Steidt Stedes in Godes henden.
Die Brüstung im ersten Stock zeigen:
Die VERITAS (eine Kriegergestalt, ein sonst nicht vorkommendes Bild), ferner als neue Figur: OPVLENTIA, eine Frauengestalt mit Krone und Schwert sowie die PRVDENTIA, die CARITAS und die SPES mit den bekannten Beigaben.
Das Portal ist eingefaßt von Atlanten, mit Fruchtbüscheln auf dem Kopfe. Darüber stehen Wappen, und zwar links: Pelikan, rechts nach (h) rechts schreitender Löwe.
In dem Bogenfelde des Sturzes: links. Hans Storre und sein Wappen mit nebenstehender Hausmarke (Bild 3) und Jahreszahl 1598; rechts Margreta Bex mit ihrem Wappen, einem sogenanntes Andreaskreuz.
Als Bilder treten in den Brüstungen dieses Geschosses noch auf: FORTITVDO, VIRTVS sowie TEMPORANTIA und FIDES.
In der Setzschwelle des linken Erkers steht die Inschrift:
De Segen des Hern, de deit dich din
Godt vormern. – So dv dich
Deist mitt ehren Ehrneren.
In der des rechten Erkers:
Affgvnst der Lvde kann dich
Nich Schaden:
Was Godt will des mvs geradenn.
Der ursprüngliche Grundriss ist durch Einbau von städtischen Bureauräumen vollständig verändert.
Text-Quelle: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4; Selbstverlag, Hannover 1912; Seite 236ff
Bildquelle:
- Ansichtskarten
- Foto / Bild Bild 1: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4; Selbstverlag, Hannover 1912; Tafel 13 nach Seite 108
Bild 2: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4; Selbstverlag, Hannover 1912; Tafel 26 nach S. 236
Bild 3: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4; Selbstverlag, Hannover 1912; Seite 240
Bild im Text: https://de.wikipedia.org/wiki/Wedekindhaus
[4] Das Gebäude in der Rathausstraße 21 wurde 1598 als Wohn- und Geschäftshaus errichtet.
Das Haus wurde von Hans Storre, der aus der Hildesheimer Patrizierfamilie Storre stammte, auf dem Platz des ehemaligen Lin’schen Hauses als Fachwerkhaus im Renaissancestil an der Südseite des Marktplatzes errichtet.
Als Bezeichnung setzte sich jedoch weitgehend nicht der Name des Erbauers, sondern der seines Nachfolgers als Eigentümer durch.
1900 wurde es renoviert. Es wird auch als Wedekind’sche Haus oder Storrehaus genannt.
Das Wedekindsche Haus wurde als Fachwerkgebäude ohne einen einzigen Stein in der Fassade errichtet, welche aber desto reicher mit bemaltem Schnitzwerk verziert ist.
Das dreigiebelige Haus hat an beiden Seiten Ausluchten. Seine Fassade besteht aus Eichenholz und ist mit Schnitzereien reichgeschmückt, die Tugenden und Laster symbolisieren.
Es ist überreich mit Schnitzwerk auf Füllungen, Stielen, Konsolen und Setzschwellen versehen. Die Fensterbrüstungen sind durchwegs mit figürlichen Darstellungen versehen. Neben zahlreichen Personifizierung von Tugenden und Lastern sowie der sieben freien
Künste stehen andere allegorische Gestalten von 1598.
Der figürliche Schmuck zeigt in der in Hildesheim üblichen Darstellung die Tugenden, Laster, Wissenschaften, Elemente usw.
Die Fensterbrüstungen zeigen, von links nach rechts gesehen:
im 1. Stock: Veritas, justitia, caritas, spes, opulentia; Prudentia, fortitudo; virtus, temperantia, patentia, fides
im 2. Stock: Hirsch, Gramatica,dialectica, rethorica und wieder einen Hirsch. Zwei Schrifttafeln: Erbaut 1598 und wiederhergestellt 1900, Musica, Frau mit Kanne und Becher, geometrica, Frau mit Seifenblase und 1598, Astrologia
im 3. Stock: Terra(Turm), aqua (Schiff), ignis (Blitz), avaritia, aer; Pigritia, Frau mit Becher, Hildesheimer Wappen, Mann im Harnisch, superbia, Luxuria, Gula, Invidia, Ira.
An dem linken Giebel unter dem ovalen Fenster: Phantastischer Bock, weibliches Brustbild, Mann mit Zipfelmütze, phantastischer Hirsch.
Am rechten Giebel: Mann zwischen 2 phantastischen Köofen.
Am Mittelgiebel unten: Türke, 2 Dudelsackpfeifer, Frau; oben: dies, nox (durch Pferde dargestellt), Löwe, Greif; im Giebel: Frau und Mann, dazwischen 1598.
Einige der vielen Inschriften lauteten folgendermaßen:
"Hans Storre, Margareta Bex. Wol Godt vertowet; heft wohl gebuwet, dat ohme nich gruwet. Wath der leifft Godt bescheret dath blifft alles Ungewehret. Min anvanck un min Ende. Steidt stedes in Goddes Henden. de Segen des Hern, de deit dich Gudt vormeren, So du dich deist mit ehren Ehrneren. Affgunst der lude kann dich nich schaden, was Godt will das muß geraden."
„Auffgust der Leude kann nicht vell schaden, wat Godt will, dat moth wohl geraden“
„De Segen des Hern de deit dich dein Goot vormeren, so du deist mit ehren erneren“
„Min Anvanck un min Ende steidt stedes in Goddes Henden“
„Wat der leiffe Godt bescheret, dat blifft alles ungewehret, wol Godt vertuwet, hefft woll gebuwet, dat ohme nich gruwet“
„Wol Godt vertruwet, hefft woll gebuwet, dat ohme nich gruwet“
Durch den Bombenangriff auf Hildesheim am 22. März 1945 wurde das Haus völlig zerstört. Lediglich seine Fassade wurde von 1984 bis 1986 im Zuge des Neubaus für die Sparkasse zusammen mit denen des sich westlich anschließenden Lüntzelhauses und des Rolandstifts weitgehend originalgetreu wieder aufgebaut.
Hinter allen drei Fassaden verbirgt sich nunmehr der Hauptsitz der Sparkasse Hildesheim. Bereits vor seiner Zerstörung beherbergte es die Stadtsparkasse.
Text-Quelle:
[4] A. v. Behr, "Führer durch Hildesheim", Verlag A. Lax, Hildesheim 1935, Seite 12
Bildquelle:
-Ansichtskarten: Privatbesitz H.-J. Brand