siehe auch: Rathausstraße / Bürgerliche Stiftungen / Gartenhaus des Rolandstifts
[1] Rathausstraße Nr. 23; Das Gebäude dient als Damenheim für die 1769 von dem im gleichen Jahr verstorbenen Senator Roland für verarmte Töchter evangelischer Bürger gegründete Stiftung. Roland – Ehe und Kinderlos - wohnte in der Seilwinderstraße, während das Haus Rathausstraße 23 sein Geschäftshaus war. Er vermachte seinen Besitz durch Testament der genannten Stiftung.
Das großartige Gebäude gehört zu den besten Wohnbauten Hildesheims. Es hat im Innern, abgesehen von der Veränderung der Haupttreppe (Verlegen an die östliche Seite an Stelle der westlichen), vor allem seine schöne großartige Diele vollkommen erhalten.
Sie bildet einen kolossalen Raum von 10 m Länge, 8 m Breite und 8 m Höhe, der vom Umgang des ersten Stockes gut zu übersehen ist. (Grund-/Querriß Bild 1+2)
Dieser Riesenraum war ursprünglich nur durch zwei massive achteckige Pfeiler (P) getrennt, die einen Längsunterzug tragen, über ihnen stehen in jedem der zwei weiteren Geschosse und der vier Dachgeschosse wieder kräftige Holzpfosten mit Längsunterzügen und Kopfbändern, sodaß die gesamte Gebäudelast zur Hälfte auf diese beiden Pfeiler und zu je einem Viertel auf die äußeren Längswände verteilt wird. Kopfbänder an den Sattelhölzern sorgen für die notwendige Versteifung (Bild 2).
Der Dachstuhl ist als vierfacher Kehlbalkenstuhl klar konstruiert, jeder Sparren mit dem Kehlbalken verzapft. Da die Spannweite der beiden untersten Dachgeschosse von der Mitte aus je mehr als 4 m beträgt, so sind hier nochmals Längspfetten angeordnet, die mit Stilen auf die Schwellen und von diesen auf die Dachbalken übertragen werden. Von den enormen Spannweiten kann man sich einen Begriff machen, wenn man sieht, daß die Lichtweiten von Pfeiler zu Pfeiler, bzw. Ständer zu Ständer, je 9 m betragen von da bis zur Giebel- und Hofseite 7 bzw. 6,5 m. Die Dachbalken liegen 4,6 m frei, also verhältnismäßig wenig, sodaß ihre Querschnittmaße wie die des Dachstuhls selbst erheblich geringer wurden. Die Hauptlast ist auf die mittleren Unterzüge und auf die Pfeiler übertragen, und da diese im Verhältnis zum zunehmen der Last viel weniger am Querschnitt wachsen, so ist damit die denkbar rationellste Konstruktionsweis – ohne Hilfe von Eisen – erreicht.
Der Keller ist dementsprechend mit drei quergelegten Tonnen zwecks guter Aufnahme der Pfeilerlasten konstruiert.
Dem Aufwand an Grundrißfläche entsprechen die Wohnräume zwar nun nicht. Nach vorne liegt nur ein – später durch den Erkerbau erweiteres – Zimmer mit direktem Licht; dahinter ein großer Alkoven. Nach Westen ein langer als Küche benutzter Raum, nach rückwärts zwei kleinere Zimmer, alles andere ist Diele.
Im 1. Stock verbessert sich diese Raumdisposition durch einen weiteren Raum mit Alkoven nach der Straßenseite und zwei nebeneinanderliegende Kammern nach der Hofseite. Wenn man aber bedenkt, daß der ehemalige Handelsherr, abgesehen von seinen vier Warenspeichern und dem Als Kontor dienenden Erdgeschoß, drei Wohngeschosse hatte, so blieb ihm immer noch die stattliche Zahl von 12 Zimmern, 8 Alkoven und 8 Kammern, nebst drei großen Küchenräumen zu Privatzwecken zur Verfügung, also ein Aufwand, wie er jetzt nur in Palästen üblich ist.
In der Front überragt der stattliche gotische Staffelgiebel dieses schönsten Hildesheimer Patrizierhauses mit dem obersten Geschoß noch die modernen Anbauten (Bild 3). Es zeigten sich hier wie am Harlessemhause gotische Doppelfenster, im Dachraum Luken, rundbogig geschlossen.
Im 18. Jahrh. hat der damalige Besitzer, Senator Roland, das Haus nun gründlich in der Front umgebaut. Durch Anlage einer Freitreppe gewann er den Zugang zur hochgelegenen Diele, seitlich nach Westen einen Vorbau mit vier Fenstern Breite, der die vortrefflichste bürgerliche Architektur Hildesheims – in sandsteinartig gestrichenem Holz – darstellt. Schöne große Fenster mit Ohren und reichem Ornamentschmuck mit Muschelwerk zieren diesen prächtigen Bauteil. Das Dach ist als Mansarde in glücklicher Weise an den alten Staffelgiebel angebaut (Bild 4+5).
Das Hauptportal ist eine prächtige architektonische Leistung. Breite Türgewände mit reichem Schmuck an Gehängen aus Blumen und Früchten leiten zu Doppelkonsolen mit gekröpftem schweren Gebälk, zwischen dem ein großes Wappen in einer schön gezeichneten Kartusche mit Engelskopf sitzt. Wappen gespalten: (h) rechts ein nach links gekehrter schreitender Löwe, (h) links eine betende Figur.
Über dem Portal sind zwei Fensteröffnungen angeordnet.
Im Inneren ist von der äußeren Pracht leider wenig zu merken, die Verwendung als Damenstift hat zur Einrichtung einzelner kleiner Wohnungen geführt, die den einheitlichen Gesamteindruck verwischten.
Als einziges Stück des 18. Jahrh. Hat sich erhalten ein Wandeckschrank; aus der älteren Zeit im OG eine Renaissancetür (Bild 6). Sie hat glatte durch Schwalbenschwanznuten in die Längsrahmen eingeschobene Querrahmen, die lose eingesetzte Füllung wird durch vor- und rückwärts aufgenagelte, reichgeschnitzte Zierstücke bzw. Profilleisten gehalten.
Text-Quelle: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4; Selbstverlag, Hannover 1912; Seite 232ff
Bildquelle:
- Ansichtskarten
- Foto / Bild Bild 1: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4; Selbstverlag, Hannover 1912; Seite 230
Bild 2: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4; Selbstverlag, Hannover 1912; Seite 231
Bild 3: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4; Selbstverlag, Hannover 1912;
Tafel 27 Seite 224
Bild 4+5: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4; Selbstverlag, Hannover 1912;
Tafel 28 nach Seite 224
Bild 6: [1] A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4; Selbstverlag, Hannover 1912; Seite 233