[1] Rathausstraße Nr. 20 (338): auch Temel-, Templer- bzw. Tempelherrenhaus genannt.
Es ist angeblich auf dem ehemaligen Platz des Judentempels (Synagoge) errichtet, daher der irrtümliche Name.
1457 wurde der Platz nach Vertreibung der Juden unter Bischof Bernhard, von Rudolf und Eduard van Harlessem, den Brüdern des damals regierenden Bürgermeisters Ludolf erworben und das Haus erbaut.
Die Grundrißanlage des Baues (Bild 1) ist stark verbaut. Ein Längskorridor teilt die Fläche in eine Anzahl nach der Judenstraße liegende recht dunkle Wohnräume, die Haupttreppe, vom Hofe des Nachbars gut erleuchtet, liegt links für sich, dahinter die große Küche. Im Obergeschoß nach vorn rechts seitlich und hinten Wohnräume, von denen zwei nach dem Hofe dreiteilige Maßwerkfenster haben. Im EG ist noch eine Säule des ehemaligen nach der Tiefe gehenden Unterzuges sichtbar. (Konstruktion wie im Rolandhaus).
Mit der Giebelseite (Bild rechts) nach dem Platze errichtet zeigt das Gebäude vier Geschosse sowie zwei Giebelgeschosse. Es ist in Sandbruchsteine mit Eckquadern und Sandsteingewänden errichtet, war ursprünglich wohl unter Sichtbarlassung von Gewänden und Ecken verputzt. Die zwei- und dreiteiligen Fenster der beiden oberen Geschosse sind noch unverändert erhalten; die Sturze aus einem Stück, die Pfosten mit Schrägen, im Bogen Nasen (Bild 2). Die unteren Fenster sind erneuert.
Das spitzbogig geschlossene Portal mit zwei Birnstäben und Hohlkehle zeigt im Schlußstein (Bild 3) die Wappen der Harlessem, ein dreimal abgestufter Balken und die Hausmarken: R. V. H. und E. V. H.
Originell ist der obere Giebelaufbau, der als mächtige Mauermasse, mit vier Kreuzblumen bekrönt, hoch ragt und mit den unzugänglichen Ecktürmchen durch Maßwerke verbunden ist. Der Bau erhält dadurch einen außerordentlich wehrhaften und großartigen Charakter. Ähnliche Mauerabschlüsse zeigen die Rathäuser zu Stralsund und Lübeck.
Eine großartige Zutat des Hauses ist der schöne Renaissance-Erkeranbau von 1591 (Bild 4). Er ist wohl die beste Leistung Hildesheimer Bildhauerkunst, höherstehend in Komposition und Ausführung, als das ihm stilistisch nahestehende sogenannte Kaiserhaus.
Der Erker ist im unteren Teile leider verstümmelt; er baut sich auf dünnen Eckkaryatiden auf, der ursprüngliche Zwischenbau – wohl Fenster mit Brüstungen – ist jetzt leider durch eingebaute eiserne Pfosten ersetzt und verdorben. Die jetzt im Sockel eingemauerten Steine gehörten wohl zur oberen Brüstung. Ein Reliefbild zeigt eine alte Frau mit Herz in der Hand, in der linken einen Stab und zwei Hunde, die sich um ein Stück Fleisch zerren. In einem von zwei Engeln gehaltenen Schild steht die Inschrift:
SI / MVSSEN / MIR LEIDEN /
VND / LASSEN / MIR / LEBEN /
DIE / MICH / BENEIDEN /
VND / NICHTES / GEBEB /
MENNIGER / HASSET / WAS / ER / SICHT /
NOCH / MVS / ER / LEIDEN / DAS / ES / GHESCHIGT /
ANNO / D / 1591 /
An der Vorderseite rechts unten ein Allianzwappen:
ROILEF / V / HARLESSEM / EGGERDES / S / S/
DOROTHIA / WARMBOLTEN / EL / H / F /
Unter dem Kranzgesims des EG sitzen von links seitlich über die Vorderseite weg nach rechts seitlich Wappenschilde, eine sogenannte Ahnenreihe von Hausherr und Hausfrau, je acht; die Schilde der Frau leer. Als Wappen des Mannes sind dargestellt: Harlessem, ein W mit Pfeil in der Mitte, ein nach (h) links schreitender Löwe, zwei nach (h) rechts schreitende Löwen in einem linken Schrägbalken. Nach vorn ein Hackenkreuz (Swastika) (über Eck gestellt), drei Narrenmützen, zwei nebeneinander stehende Rosen, eine Blume.
Über dem Kranzgesims erheben sich als Träger des 1. Stockes an den Ecken zwei Hermen, die sich mit den Armen umschlingen, so symbolisch sehr schön die wichtige Funktion des tragenden Baugliedes andeutend, dazwischen eine stärkere Mittelherme und zwei als Pfosten der Fenster dienende schwächere. Ihre Postamente sind alle in Metallornament geschmückt.
Die Brüstungsfelder tragen vier biblische Szenen aus der Geschichte des verlorenen Sohnes; nämlich links seitlich: den Empfang des heimkehrenden Sohnes, in der Mitte links: das zu seinen Ehren veranstaltete Festgelage, rechts: der zu Hause gebliebene Sohn die Schweine hütend, rechts seitlich: seine Versöhnung mit dem heimkehrenden Bruder; alle meisterhaft komponiert und ausgeführt.
Den Giebel schmückt ein von zwei korinthischen Säulen eingefaßtes Fenster, zwei Rollwerke zieren die Seiten, zwei Figürchen auf den Ecken und eines auf der Spitze bilden den oberen Abschluß. Die Figuren sind stark verstümmelt, ihre Bedeutung ist schwer festzustellen. In der Mitte des Giebeldreiecks das Brustbild eines bärtigen Mannes (Karl der Große?), in der Linken einen Reichsapfel, in der Rechten einen Adler.
Text-Quelle:
Bildquelle:
- Ansichtskarten
- Foto / Bild
[1] Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Selbstverlag der Provinzverwaltung; Hannover 1911, Band II, Heft 4, Teil 1, Seite 240ff
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Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Selbstverlag der Provinzverwaltung; Hannover 1911, Band II, Heft 4, Teil 1, Seiten 239ff