von Julius Wolf
Dicht am Hildesheimer Dome,
Den der heil'ge Bischof Bernward
Mit den höchst bewundernswerten
Erzgegossnen Türen schmückte
Und der noch viel andre Schätze
Künstlerischer Arbeit aufweist,
Steht ein hochgegiebelt Weinhaus,
Mittelst seiner langen Keller
Und der Bücherei darüber
Mit dem Gotteshaus verbunden
Und genannt die Domherrnschenke.
Diesen würd'gen Namen hat es
Aus den alten, guten Zeiten,
Da der Wein des Domkapitels
Hier in überreichem Vorrat
In den Kellern lag, von dem auch
Gegen bares Geld den Bürgern
Abgelassen und verkauft ward.
Allerdings die bessern Sorten
Tranken Domherrn und Prälaten
Mit den Herrn von den Geschlechtern
Lieber selbst, wenn gegen Abend
Um die Zeit der Pfaffenstunde
Sie zu einem Vesperdrunke
Traulich hier zusammenkamen.
Das ist freilich lange her schon;
Doch auch heute noch verzapft man
Dort recht achtungswerte Tropfen,
Und verständ'ge Trinker meinen,
Daß das hauses frommer Name,
Seines alten Rufes Wohlklang
Und die Geister, die drin umgehn,
Mitternachts dem Wein im Römer
Einen ganz besonders kräft'gen,
Einen goldig funkelhellen
Glanz und Glorienschein verliehen.
Einen merklich günst'ge Lage
Hat das Haus, ist leicht zu finden
Und fällt doch nicht auf, man sieht nicht,
Wer als Gast dort ein- und ausschlüpft,
An die Hinterwand des Kreuzgangs
Ist es angebaut, und lauschig
Schauen aus dem stillen Winkel
Seine Fenster auf den Domhof
Und die grauen Domherrnkurien,
Deren stattliche Gehöfte
Jenen weiten Platz umgeben.
Ihren Eingang hat die Schenke
In dem schmalen Seitengäßchen,
Das von hier aud über Stufen
Zu der Altstadt niederleitet.
Aber - seltsam! aus dem Kreuzgang,
Der gewölbekühl den Garten
Mit dem sagenhaft berühmten
Rosenstock am hohen Chore
Hundertsäulich ringsum einschließt,
Führt noch ein verschwiegenes Pförtlein
In der Mauer und dahinter
Heimlich eine dunkle Treppe
In den tiefen Domherrnkeller
Graden, sichern Wegs hinunter,
Doch warum? zu welchem Zwecke?
Ja, - nur Domherrn mögen's wissen!