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Zu Hildesheim ist Markttag heut!
In den Buden Gemüse und Fleisch
Und Fisch und Geflügel. Und drängende Leut‘.
Da plötzlich Gejohl und Gekreisch.
Bei der Ratsapotheke. Was ist denn los?
Da gibt’s was zu lachen, - nur ran!
Und die Gassenjungen mit Puff und Stoß
Wie immer sind vorne an.
Und Bauer und Bürger und alles lacht.
Ein Esel. Was ist denn damit?
Na seht‘ was das Tierchen für Sprünge macht!
Jetzt tanzt es im Walzerschritt.
Jetzt schreitet es würdig und schreit: „I a“
Und verdreht die Augen verzückt,
Jetzt hopst es, jetzt liegt’s auf der Erde. Sieh da, -
Der Esel ist, glaub‘ ich, verrückt.
Den Ap’theker stört das laute Geschrei, -
Am Markttag gibt’s viel zu tun -
Und eilig und ärgerlich stürzt er herbei
Und will … Ja, was will er? Nun, nun?
Entsetzliches schwant dem geschlagenen Mann,
Ihm wird vor den Augen ganz schlecht,
er tritt an die lachende Menge heran:
„Der Esel, der ist ja bezecht!“
„Bezecht!“ erwiedert’s mit höhnischem Blick,
Der Esel ruft grinsend: „I a!“
Der Ap’theker stürmt ins Haus zurück,
Schon hört man ihn toben: „Ha!“
Mein Fäßchen mit trefflichem Würzwein,
ein Esel trinkt es leer!
Wo mag der Besitzer des Tieres sein?
Schafft mir den Kerl nur her!“
„Ja, Herr“, sagt ein Bauer, „dat Dier ist min,
Doch wat kann eck davör,
Worüm lat Ji euern Würzwewien
Denn stahn bi de openen Dör?“
„Er Esel! Bind‘ Er sein Vieh doch an!“
Der Ap’theker fährt fast aus der Haut.
„ja, leiwe Herr, dat hew‘ eck dahn,
wie man dat jümmer daut!“
„Dann hat er den Knoten nicht festgemacht,
Oder der Strick war schlecht! -
Er hat mich um meinen Wein gebracht,
ersetz‘ er nach Pflicht und Recht!“
Und jeder knurrt den andern an,
Und jeder hat recht und steht,
Bis endlich zum Bürgermeister man
Mitsamt dem Esel geht.
Der fragt denn hin und fragt denn her,
Dem Ap’theker zu schwerem Verdruß,
Zuletzt, ob anzunehmen wär‘,
Daß das Tier den Weingenuß
Sich sitzend oder stehend verschafft.
Der Ap’theker stutz und lacht:
„Es ist vor dem Faß mit dem edlen Saft
Kein Sitzplatz angebracht.
So stand, wie die Esel meistens tun,
auch dieser beim Trinken gewiß!“
Der Bürgermeister erhebt sich: „Nun,
Dann fällt ja das Ärgernis!
So erkenne ich ohne Gericht und Prunk,
Daß dieses rechtens sei:
Ein Stehtrunk ist ein Ehrentrunk,
Und der Ehrentrunk ist frei!“
Dichter
Entstanden
Quelle
Rudolf Keseling: Allgemeiner Heimat-Kalender, Ein salomonisches Urteil, Gerstenberg 1978, Hildesheim, S. 92
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