Hildesheimer gewerbliche Verbände des MA
Die Hofhandwerker der geistlichen Institute
von Walther Tuckermann
Es ist früher, in der extremsten Form von Nitzsch, behauptet worden, daß die städtischen Zünfte sich aus hofrechtlichen Verbänden entwickelt hätten. Heute (1920) wird seit den grundlegenden Arbeiten von Georg von Belows eine derartige Ansicht kaum noch aufrechterhalten. Gewiss hören wir von hofrechtlichen Handwerkern, aber diese waren in ihrer engbegrenzten Umgebung in so schwacher Zahl vertreten, daß sie keine Korporationen bilden konnten. Selbst am Hofe eines mächtigen Fürsten wie des Kölner Erzbischofs war die Zahl der servientes (Edelknechte) gewerblicher Art doch recht gering. Die städtischen Betriebe entwickeln sich selbständig neben den hofrechtlichen und nicht aus denen heraus. In Hildesheim werden noch Hofhandwerker erwähnt, als die städtischen sich längst zu Verbänden zusammengetan hatten.
Nähere Nachrichten besitzen wir nur über die Hofhandwerker des Domkapitels. Die Aufsicht über die gewerblichen Betriebe im Domstift lag in der Hand verschiedener Würdenträger, welche die Ämter indes nur mit Zustimmung der anderen Kapitulare übertragen durften. So muß auf Beschluss des Domkapitels der zu wählende Propst schwören, daß er die tria officia lapiscidarum et officium carpentarii et officium fabir nur mit Zustimmung der übrigen Stiftsherren übergeben will. Die einzelnen Ämter sollen nur diejenigen erhalten, welche sie selbständig auszuüben verstehen. Ganz ähnlich lautet die Wahlkapitulation des Dompropstes Detmar von Hardenberg vom Jahre 1405. Selbstverständlich bedeutet „officium“ in den angeführten Stelle nicht „Zunft“, „Amt“ im späteren Sinne, sondern das von den einzelnen betriebene Handwerk.
Schließt schon die numerische Schwäche der handwerksarten das Vorhandensein einer Organisation derselben aus, so richtet die hofrechtliche Theorie auch die Tatsache, daß von einer Instanz, die sich zwischen Domkapitel und den servientes (Edelknechte) schiebt, nicht im entferntesten die Rede sein kann.
Dem Kapitel allein steht ein unbeschränkter Einfluß auf die Hofhandwerker zu. Nach dem Tode des jeweiligen Inhabers fallen die Ämter wieder an die Lehnsherren zurück. So bezeugt im Jahre 1713 Konrad von Widenhausen, daß nach seinem Hinscheiden das Bäckeramt (bakammech), das ihm vom Bischof mit Einvernehmen seines Kapitels übertragen war, an die Kurie zurückfällt.
Auch dem Kämmerer konnten hofrechtliche Handwerker unterstellt werden. So verzichtet im Jahre 1235 der Kämmerer Ludolf auf die Aufsicht über neun officia, von denen aber nur die vier Brauämter, das Amt des Freitagsbäckers und das des Steinhauers allenfalls als Gewerbe im Sinne unserer Darstellung anzusprechen sind. Einen bedeutenderen und ständigen Posten bei der Beaufsichtigung des Haushalts des Domkapitels bekleidet indes der cellerarius. Dem Domkellner, der sich allerdings durch einen anderen Kanoniker vertreten lassen kann, unterstehen das Kornhaus, die Kellerei, die Küche und das Brauhaus. Auch dem cellerarius wird eingeschärft, daß er die Ämter nach bestem Wissen und Gewissen besetzt. Damit nicht der Gedanke an eine Käuflichkeit der erledigten Stellen auftauche, ist ihm die Annahme von Geschenken untersagt. Die Amtleute (officiati) sind dem Kellner zum gehorsam verpflichtet. Die Unfolgsamen werden vom Domkapitel gerügt, im Wiederholungsfall gehen sie ihrer Stellen verlustig. In jeder Woche legt der cellerarius dem Kapitel eine Rechnungsablage über seine Amtsführung vor. Bemerkenswert ist die Bestimmung, daß der Bedarf an Brot, wenn das im Kornhaus gebackene den Anforderungen nicht entspricht, auf dem öffentlichen Markt gedeckt werden soll. Diese Nachricht stammt aus dem 13. Jahrhundert.
Man sieht also, daß der grundherrschaftliche Gewerbebetrieb schon in dieser frühen Zeit ein städtisches Handwerk zu seiner Ergänzung voraussetzte. Im Laufe der Zeit, mit der größeren Ausbildung des städtischen Marktes geht die Beschränkung der Zahl der Handwerker auf den Höfen der geistlichen Großen Hand in Hand. Es erschien bequemer, wirtschaftlicher, sich von den neuen städtischen Handwerkern bedienen zu lassen, das eigene Personal zu beschränken.
Daß auch am Hildesheimer Hofe dieser Gedanke mehr und mehr die Oberhand gewinnt, bezeugt ein Beschluß des Domkapitels vom Jahre 1406, nach dem Tode des Kellner Lippold von dem Steinberg Ämter, de vortmer nicht nutte ensyn, aussterben zu lassen. Nur einige Vorteile versprechende Ämter, so vier Backämter, je zwei Dienststellen der Köche und der Unterköche sollen dem cellerarius auch fürderhin unterstehen.
Die anderen großen Stifter der Diözese, St. Godehard und S. Michael in Hildesheim, das Moritzstift vor den Toren der Stadt, Gandersheim, Lamspringe, Derneburg werden ebenfalls in der älteren Zeit Hofhandwerker besessen haben. Indes wird ihre Zahl nicht größer, eher kleiner gewesen sein als die im Domstift, der vornehmsten geistlichen Niederlassung des Bistums.
Textquelle: W. Tuckermann: „Das Gewerbe der Stadt Hildesheim bis zur Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts“; Inaugural-Dissertation;
Berlin 1906; ; Druck: E. Ebering Berlin Seite; 10f