Im Original in Auszügen wiedergegeben
Autor: Anne-Gret Politz
Die ersten Nationalsozialisten in Hildesheim waren Mitglieder völkischer Verbände gewesen, u.a. des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes“. Als dieser 1922 verboten wurde und andere Verbände sich auflösten, schloss sich ein e kleine Anzahl der Männer der „Deutschsozialistischen Partei“, die der NSDAP sehr ähnelte, an. Diese Gruppe bestand jedoch nicht lange, denn die DSP löste sich 1922 auf.
Über Sarstedt, die bereits eine Ortsgruppe hatte, brachten Arbeiter nationalsozialistisches Gedankengut mit nach Hildesheim, wo im Frühjahr 1923 die erste NS-Versammlung stattfand. Nach den Angaben eines Parteigenossen traten alle Anwesenden der NSDAP bei. Die Ortsgruppe Hildesheim schien kein eigenständiges politisches Leben entwickelt zu haben, denn bis zum Hitlerputsch im November 1923 besuchten die Mitglieder der Ortsgruppe die Versammlungen der Ortsgruppe Hannover.
Nach dem Verbot der NSDAP tauchten 1924 neue völkische Gruppen auf, die die Parteimitglieder aufnahmen. Der völkischsoziale Block und die nationalsozialistische Freiheitspartei (ging Anfang März 1925 geschlossen zur NSDAP über) nahmen an den Wahlen 1924 teil; ein Parteimitglied zog sogar ins Hildesheimer Rathaus ein.
Von Aktivität der Ortsgruppe Hildesheim war auch 1924 nichts zu spüren. Die Ortsgruppe hatte mehr den Charakter eines Vereins als den einer Unterorganisation einer Partei. Rudolf Haase (erster Gauleiter des Gaues Südhannover-Braunschweig) beschrieb die Tätigkeit der Ortsgruppe wie folgt:
Das verkehrslokal wurde damals Sievers Hotel, dessen Clubzimmer mit „herrlicher“ Wandbemalung im jugendstiel manche schöne Stunden sah. Flörke, der gebeten war, die Führung zu übernehmen, saß auf dem alten Kanapee, in einer Nische mit gemalten Rosen, und erzählte von München.
Erst nach der Neugründung der Ortsgruppe Hildesheim 1925 entfaltete auch diese Gruppe eine rege Tätigkeit im Raum Hildesheim.
Statistische Angaben der NSDAP besagen, daß es im Juni 1932 in den 117 Gemeinden der Landkreise Hildesheim und Marienburg nur 38 Ortsgruppen gab. Ab 1.10.1932 blieben nur Ortsgruppen bestehen, die mehr als 50 Mitglieder hatten; so entfielen 11 Ortsgruppen auf die 76 Gemeinden des Kreises Marienburg und 8 auf die 41 Gemeinden des Landkreises Hildesheim.
Die Zahl der Parteimitglieder war sehr gering; viele Ortsgruppen zählten vor dem 1. Oktober 1932 weniger als 10 Mitglieder. Im Januar 1930 meldete die Gauleitung nur 5 Parteigenossen in Hildesheimer-Land, außer denen der Ortsgruppe Sarstedt; im November 1930 war die Zahl auf 59 gestiegen.
Die Ortsgruppe Hildesheim war auch nach der Neugründung der Partei eine der ältesten im Raum Hildesheim. Am 24.6.1925 wurde die Ortsgruppe neu gegründet. Ihre Mitglieder waren hauptsächlich alte Parteigenossen von 1922. In einer Broschüre der NSDAP von 1939 hieß es darüber:
„es scharten sich die wenigen Hildesheimer Parteigenossen wieder um die Fahne der Bewegung.“
Die Ortsgruppe wuchs nur sehr langsam; im Mai 1926 zählte sie 66 Mitglieder. Diese Zahl war gegenüber den (1925) 58522 Einwohnern der Stadt verschwindend gering. 1929 zählte man 100 Mitglieder gegenüber 66270 Einwohnern. Erst ab 1930 stieg die Mitgliederzahl stark an, so daß zur besseren und strafferen Erfassung der Mitglieder Anfang November 1931 das Stadtgebiet in vier Ortsgruppen – Ost, Süd, West, Mitte-Nord – aufgeteilt wurde. Am 1. Mai 1932 erfolgte eine erneute Umorganisation; es wurde wieder eine einzige Ortsgruppe gebildet, die in verschiedene Straßenzellen aufgeteilt war. Diese Ordnung blieb nur bis zum 1. Oktober bestehen, als fünf Stadtortsgruppen gebildet wurden. Die Neuorganisation wurde wie 1931 mit einer gründlicheren, strafferen Organisation der Partei begründet. Tatsächlich aber spiegelten sich darin die Versuche der Gauleitung wider, die NSDAP in Hildesheim aus dem Entwicklungsstadium von 1925 herauszureißen.
Die innere Krise der Partei im Raum Hildesheim war eine Vertrauenskrise. Durch Unterschlagungen von Mitgliedsbeiträgen und nicht abgegebene Aufnahmescheine an neue Parteimitglieder war bei vielen Mitgliedern Interesse und Sympathie für die Partei durch Gleichgültigkeit und Misstrauen ersetzt worden. Einige Ortsgruppen hatten sich sogar wieder aufgelöst, so daß sich der Raum Hildesheim größtenteils wieder im Zustand der Neuorganisation befand. Der Bezirksleiter des Bezirks Hildesheim-Marienburg schrieb im November 1931 an die Gauleitung:
„Wir haben ungeheuer viel zu tun, um die Bewegung im Lande wieder auf gesunde Grundlagen zu stellen … es ist so, daß fast von vorn begonnen werden muß“.
Aber mit einsetzen der Weltwirtschaftskriese war diese Vertrauenskriese überwunden.
Die Untersuchungen haben gezeigt, daß die NSDAP im Raum Hildesheim nur sehr schwer und zögernd Fuß fassen konnte. 1925 begann die Entwicklung erfolgsversprechend, aber ab 1926 stockte sie. Die Menschen hatten wegen der zunehmenden wirtschaftlichen und politischen Sicherheit ihr Interesse an der Partei verloren – eine Vertrauenskrise innerhalb der NSDAP tat ein Übriges. Erst ab 1930 konnte die Partei wieder Erfolge verzeichnen.
In der Zeit bis ungefähr 1929 wurde die Entwicklung der Partei auch nicht durch den hohen Anteil mittelständischer Gruppen im Raum Hildesheim gefördert. Erst als die Folgen der Weltwirtschaftskriese spürbar wurden, öffnete sich der Mittelstand den NS-Parolen, da er von der Krise besonders hart betroffen wurde. Im Raum Hildesheim gewann die NSDAP zwar keine überragenden Erfolge, weil sich die wirtschaftliche Lage nicht zu stark veränderte – nur im Juli 1932 errang sie einen Wahlsieg -, aber sie entwickelte sich zu einer ernstzunehmenden Partei.
Eine Ausnahme in der Entwicklung bildete der katholische Landkreis Hildesheim. In der soziologischen Struktur glich er dem übrigen Raum Hildesheim, aber die Zentrumspartei und die Geistlichkeit beeinflussten die Bevölkerung derart, daß die Nationalsozialisten hier immer vom Zentrum geschlagen wurden und nie die Höhe des Stimmenanteiles der Stadt Hildesheim und des Kreises Marienburg erreichten.
Die Wahlen bewiesen, daß die NSDAP zahlreiche Anhänger – vor allem junge Menschen – zählte, aber ihre Mitgliederzahl war noch sehr gering.
Eine Analyse der Wahlergebnisse zeigt, daß die NSDAP in ihren Kernzellen 1932 die meisten Stimmen erhielten, in anderen Gemeinden erhöhte sich ihre Stimmenzahl nur zögernd.
Abschließ0end kann gesagt werden, daß die Entwicklung der NSDAP in keinem Verhältnis zu ihren Bemühungen stand. Vom Entwicklungsstand in Hildesheim-Stadt und im Kreis Marienburg aus gesehen, war die Machtergreifung eine verständliche Folge, aber im Landkreis Hildesheim war die Partei 1933 noch sehr entwicklungsbedürftig.
Textquelle: "Alt-Hildesheim"; Verlag A. Lax, Hildesheim 1971; Seiten 42ff