Die älteste Nachricht über Hildesheimer Apothekenwesen stammt von 1318. Am 1. Mai dieses Jahres wird dem apotecarius und Gewürzkrämer Reiner vom Domkapitel ein Haus bei der Stephanuskapelle übereignet.
Dieses antiqua apotheca genannte Haus wird 1357 durch den Domkantor Günter von Bartensleben an die Kapelle S. Vincent im Friedhofe (Kreuzgarten) des Kreuzstiftes verkauft.
Das Haus wechselte öfter seinen Besitzer. 1365 kommt es an Ludeke von dem Sollte; es wurde später zum Streitgegenstand zwischen Stadt und Domkapitel, und im Vergleich zwischen Bischof Gerhard und der Stadt 1372 geschlossen.
Später, 1415, wird erwähnt eine alte Apotheke (apotekenhus) auf dem kleinen Markt (uppe deme lutteken markede), die damals einem gewissen Godfridus gehörte. Im gleichen Jahre wird ein Haus eines Hans von Lobeke als auf dem Hohenwege (honweghe) gegenüber der Apotheke gelegen, bezeichnet. Diese olde apotekenhus uppe deme lutteken markede belegen wird schon 1406 erwähnt; seine Baustelle, der kleine Markt ist nach Döbner am Andreasplatz zu suchen.
1438, 12. Mai, werden die Apotheker Gottfried und Benedikt gelegentlich einer Eidesleistung, keinem Arzte mehr Nutzen oder Anteil an der Apotheke zu gestatten, genannt. Diese Apotheke wird 1518 an die jetzige Stelle verlegt.
1579, am 23. August, wurde die Apotheke von einem schweren Brande heimgesucht, worüber Joachim Brandis der Jüngere in seinem Tagebuch sehr anschaulich erzählt.
Als Apothekenherrn (d. i. als Kommission) ernannte der Rat, wie Henni Arneken in seinem Tagebuch berichtet, diesen und Hans Bex, mit dem Auftrage, den Neubau noch bis zum Winter unter Dach zu bringen.
Am Christmond (um Weihnachten) war der Rohbau fertig; die innere Einrichtung dauerte bis 28. April 1580. Zur Vergrößerung wurde das Grundstück des abgebrannten Nachbarhauses Hans Wises angekauft. Der Neubau wurde 1606 nach Süden durch einen mit vorkragendem Obergeschoß versehenen fünf Feldern breiten Anbau erweitert, an den später 1656 ein weiterer vorspringender Bau, unten massiv und oben Fachwerk, angefügt wurde. Dieser ist seit 1906 wieder geändert.
Front nach der Rathausstraße:
Die Rathausapotheke (Bild oben) stellt somit einen vielfach veränderten Bau dar. Nach der Rathausstraße liegt das älteste, anscheinend durch den Brand von 1579 im Erdgeschoß nicht berührte Teil. Schön erhalten ist hier eine prächtige, spätgotische Tür (Bild links) mit Vorhangbogen und einem soliden Türflügel aus doppelter Bretterlage mit Nägeln und schönem aufgesetzten Türgriff. Die Tür trägt die Inschrift in gotischen Minuskeln:
Wilt du Artzny oder susse Wein
So geh dar die zu funden sein.
Zwo ander Thur dir offen stan
Zu Raht hier geht der Olderman.
Mit den Namen Oldermann bezeichnete man die 24 Bürger, die die Gemeinde vertraten. Dieser Behörde stand im Obergeschoß der Apotheke ein kleiner Saal zur Verfügung, in dem sie ihre Sitzungen abhielt: die sogenannte Lutterung, d. i. eine Auslosung der jährlich zurückgetretenen acht Mitglieder aus dem Gesammtrat und die Neuwahl ihrer Ersatzmänner. Die Wahl endete mit dem sogenannten Luttertrank, d. i. einem gewürzten Wein, den die Apotheke herstellte.
Da damals der Handel mit Süßwein (claret, malvasier) auch in der Hand der Apotheker lag, so diente das Sitzungszimmer der Oldermänner auch als Festraum für den Empfang von Gesandten und fremden hohen Herren.
Der übrige Teil des Baues nach der Rathausstraße zeigt im Erdgeschoße noch drei Fenster mit Vorhangbogen, die zu einem gewölbten Gemache gehören.
Front nach dem Hohen Wege:
Der Holzbau von 1579/80 erhebt sich über einem glatten Sockel. Er ist leider stark verstümmelt, es sind nur sehr unregelmäßig verteilte, teils gegliederte, teils glatte Brüstungen und Setzschwellen im Obergeschoß erhalten.
An Zierrat enthalten die Brüstungsfelder auf der Seite nach dem hohen Wege einige sitzende Gestalten mit den Beischriften:
JVTITIA, PAX, TACTVS, OLFACTVS, GVSTVS,
wahrscheinlich ursprünglich die fünf Sinne, später falsch ergänzt. Die Konsolen sind einfach, mit kleinen Spiegelquadern und Rolle, (einige unter dem ehemaligen Erker mit Bändern), die an der Ecke sind als Menschenköpfe ausgebildet.
Nach der Rathausstraße befindet sich in zwei Brüstungsplatten des Obergeschosses die nachstehende Inschrift in gotischen Minuskeln:
Im neun vnd sibenzigsten jar,
Als sanct Bartholomeustag war,
Das vorig haus in brande stund,
Nimand, woher, erfaren kunt,
Vor Leibsgebrechn man in im dandt
Al was der Artzt mus habn zur Hand.
Gros schadt, aber ein weiser Rath
Besser, Dan vor, gebavet hath,
Eh der Christmond sein anfang nam
Dis Haus in eil zu stehend kam.
Der gütig Got al feur abwendt
On, welchs der welt sol bringen ir endt.
Auf der Vorderseite nach dem Hohen Wege ist dieses Ereignisses dann nochmals auf einer Gedenktafel in einem Brüstungsfeld in lateinischer Sprache gedacht:
PARVA DOMVS PRIOR AT QVARVM INDICET VSVS AD AEGRVM
SANANDVM CVNCTIS ERAT INSTRVCTISSIMA REBVS
MOESTI ILLAM VIVES VIDERVNT IGNE PERIRE
HEV TOTIES NON IPSA TVLIT QVOS MORTE PERIRE
DAMNVM INGENS, SED DECRETO PRVDENTE SENATVS
LAXA MAGIS; QVAM PRISTINA ERAT; MAGIS APTA REPENTE
EST NOVA STRVCTA DOMVS, DATE NVMINA NE CREMET VLLVS
HANC IGNIS, NISI QVI TERRAM COELVMQVE CREMABIT.
(„Früher war dies ein kleines Haus, aber aufs beste versorgt mit allen Mitteln der Kranken-Heilung, wie es der Zweck abgibt. Traurig sahen es die Bürger in Flammen vergehen, das so häufig selbst verhinderte, daß sie vom Tode hingerafft wurden. Großer Schaden, aber durch klugen Rat des Senates wurde es größer und passender, als es früher war, schnell aufgeführt. Gebet, ihr Gottheiten, daß kein anderes Feuer dieses Haus verzehre, als dasjenige, das Erde und Himmel verbrennen wird.“)
Eine Inschrift über der Haupteingangstür nach dem Hohen Weg zeigt in reich geziertem, schwungvollem Rokokoschilde das Wappen der Altstadt und die Beischrift:
Eines hochedlen Raths Apotheke MDCCLXIII. (1763)
Die Türflügel sind sehr gediegen als Doppeltür mit übereckstehenden Brettern hergestellt und noch mit gut erhaltenem Messinggriff und Klopfer versehen.
Die innere Einteilung der Apotheke war wahrscheinlich wie folgt beschaffen: Im Erdgeschoß liegt nach der Straße der Apothekenverkaufsraum, im Seitenflügel nach der Rathausstraße lag das Laboratorium, welches nach dem Umbau 1906 in das neuerbaute Hinterhaus verlegt wurde.
Im Zwischengeschoß und Obergeschoß liegen jetzt die Wohnräume des Besitzers. Ursprünglich wurde die Apotheke von der Stadt betrieben und stand unter der Verwaltung eines Administrators (Apothekenherrn). Damals wurde das Obergeschoß für städtische Zwecke benutzt; von der noch vorhandenen gotischen Türe in der Rathausstraße führte eine Treppe zu einer Ratsstube, den Raum für die schon erwähnten Oldermänner; hinter diesem Zimmer lag der große Saal (die Stube). Dieses Obergeschoß wurde 1772 in der jetzigen Weise umgebaut.
Ein Prachtportal (Bild rechts) bildete den Eingang zur Stube. Auf freien Säulenstellungen erhebt sich ein mit vier Konsolen und Metallstilfüllungen gezierter Architrav. Darüber steht mit sechs kleinen Säulchen gestützt ein Giebelbau; in zwei Nischen das Hildesheimer Wappen. Die Rückwände hinter den freistehenden Säulen sind mit Nischen auf Halbsäulen geziert; die Quadernachahmung läßt mühelos das Vorbild, die großen Prunktore der Renaissance erkennen. Der Türflügel enthält nochmals eine Säulenstellung nebst Verdachung, in der Mitte eine Nische, wohl einst mit einer Figur versehen. Die Tür stammt von 1622.
Ausstattungsstücke:
Im Saale sind weiter einige zierliche Renaissanceschränke, im Vorraum ein Wappen der Stadt Hildesheim.
Im Untergeschoß befindet sich im Warteraum der Apotheke eine Tafel aus dem Jahre 1772, welche früher in der Materialkammer hing und die Namen der Ratsherren und der Verwalter der Apotheke angibt.
Im Apothekenraum selbst ein gut erhaltenes große Wappen mit der Inschrift:
RENOV.
Anno 1579 Anno 1741. 85.
Die Apotheke, früher städtisches Eigentum, ist seit dem 1. April 1862 im Privatbesitz.
Text-Quelle:
Bildquelle:
- Ansichtskarten
- Foto / Bild
(1) A. Zeller: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Band 2, Kapitel 4; Selbstverlag, Hannover 1912; Seite 59ff
Privatbesitz H.-J. Brand
1.) H. Cassel, "Führer durch Hildesheim", 8. Auflage, F. Borgmeyer-Verlag Hildesheim, Anhang
2.) O. Beyse, „Hildesheim“, Deutscher Kunstverlag, Berlin 1926; Foto 77
3) Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover; Selbstverlag der Provinzverwaltung; Hannover 1912, Band II, Heft 4, Teil 2, Seite 61
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