von Dr.med. Ernst Becker
Das Hospital des Mittealters unterscheidet sich sehr wesentlich vom Krankenhaus der Neuzeit. Es wird daher genügen, bei einigen der zahlreichen Hospitäler etwas ausführlicher zu verweilen.
Um indessen wenigstens einen Überblick über die Zahl der Hospitäler in Hildesheim während des Mittelalters zu geben, führe ich nachstehend nur die Namen derselben an, soweit sie in dem Doebner’schen Urkundenbuch bis zum Jahre 1500 erwähnt werden. In () ist die Jahreszahl der ersten Erwähnung beigefügt.
bis 1161 |
Dom-Hospital |
seit 1161* |
Johannis-Hospital |
1254* |
Hospital des St. Godehards-Kloster |
1270 |
Hospital St. Andreae auf dem Andreas-Kirchhof |
1270* |
Leprosorium St. Katharinae auf der Steingrube vor dem Ostertor |
1321* |
Hospital des Michaelisklosters, auch Bernwards-Hospital genannt |
1326* |
Großes heiligen Geist-Hospital, auch Trinitatis-Hospital genannt |
1359* |
Alexius-Hospital oder Lüleckehaus in dem Langenhagen, Haus der willigen Armen, der Alexianer oder Nolharden oder Lollarden |
1409 |
Kleines heiligen Geist-Hospital in der Kramerstraße |
1426 |
Das Rese’sche Armenhaus „Im Sack“ |
1452* |
Hospital im Haus der Vikarie St. Barbara im Hücketal |
1456* |
Hospital bei der St. Nicolai-Kapelle im Brühl |
1480 |
Heiligen Geist Hospital beim Michaeliskloster |
1488* |
„Von Alten Hospital“ im Brühl |
1439* |
Leprosenhaus St. Crucius |
1463 |
Unser lieben Frauen-Hospital unter der Güntherstraße oder St. Annen-Hospital |
1470* |
Dreizehn Armen Hospital, auch genannt „neues Hospital St. Annae“ oder „Heilig-Geist-Hospital“ der Neustadt |
1367* |
Kartäuser-Kloster |
1422 |
Lebrosenhaus St. Nicolai |
ca. 1460/80 |
„Unser lieben Frauenhaus auf dem Damme“, auch genannt „Unser Lieben Frauen der Aachenfahrt“ |
Die mit einem * bezeichneten sind heute (1899) noch dem Namen nach erhalten, natürlich aber meist neu aufgebaut, vielfach auch an anderer Stelle. Keines derselben dient als Krankenhaus, sondern alle sind Siechenhäuser für alte hilfsbedürftige Frauen und Männer, denen daselbst in den Tagen des hilfsbedürftigen Alters neben gesonderten Kammern gemeinschaftliche, im Winter heizbare und beleuchtete Stuben, sowie wenigstens einige, wenn auch nicht zur Bestreitung aller Lebensbedürfnisse ausreichende Geldmittel gewährt werden.
Boysen glaubt, daß möglicherweise das jetzige (1899) Martinihospital in der Kramerstraße mit dem Andreashospital identisch ist. Im Laufe späterer Jahrhunderte sind unter Andren die heute (1899) noch bestehenden Hospitäler: Josephstift, Rolandstift, Martinistift und Arnekenhospital hinzukommen.
Die älteste Nachricht über ein Hospital in Hildesheim stammt aus dem Jahre 1126. In einer Urkunde des Hochstiftes wird eine Schenkung der Wulfhild, der Tochter des Herzogs Magnus, erwähnt, welche aus Schweinen, Ferkeln, Hühnern, Schafen, Käse, Weizen, Honig und dergleichen bestand. Es ist darin einfach das „hospitale in Hildenesheim“ genannt. Es lag, wie wir aus späteren Urkunden wissen, neben dem Dom – wo, ist nicht näher bekannt.
Indessen besaß in damaliger Zeit jedes Kloster neben dem Krankenhaus für die Klosterangehörigen (domus infirmaria), dem ein Magister infirnorum oder infirmarius vorstand, in der Regel auch ein Hospiz für Fremde, sowie ein Armenhaus (Hospitale pauperum). Es ist erklärlich, daß der Zulauf von Bedürftigen und Armen, Pilgern und Kranken ein sehr großer war, da das Bistum Hildesheim schon damals sich eines guten Rufes und Ansehens erfreute; es war überdies dieses Krankenhaus das einzige in weiter Umgebung. So kam es denn, daß die Räume bald nicht mehr den Anforderungen genügten und man auf Hilfe Bedacht nehmen mußte.
Stellen wir uns also nur nicht ein mittelalterliches Hospital vor, wie ein heutiges Krankenhaus. Den Kreis seiner Wirksamkeit am treffendsten beschreibt ein Empfehlungsbrief: „Das Haus ist für die Ausübung der Werke der Barmherzigkeit zum Heile der Gläubigen bestimmt. Diese Werke werden dort Tag und Nacht vollbracht, nämlich damit, daß nackte gekleidet werden, Hungrige gespeist, Schwache erquickt, Frauen in den sechs Wochen gepflegt, Witwen, Waisen und Pilgern das Mahl nicht versagt wird.“ Später erst, als man das Unzuträgliche der Verbindung dieser verschiedensten Zwecke zu empfinden begann, beschränkte man in der oben mitgeteilten Weise die Aufnahme auf heilungsfähige Kranke und wies alle übrigen ab.
Von einer eigentlichen ärztlichen Behandlung ist wenig die Rede, denn es gab damals überhaupt keine Ärzte in unserem Sinne, d.h. solche, die die Ausübung der Heilkunde zu ihrem Beruf und Gewerbe erhoben hatten. Ärzte von Profession sind urkundlich mit Hilfe der Stadtrechnungen in Hildesheim erst etwa seit dem Ende des 14. Jahrhunderts nachweisbar. In den Spitälern wurden die Kranken vielmehr von den Pflegern und dem Haus- oder Hofmeister mit Hausmitteln versorgt; der Küchenmeister (cellerarius) beriet allmorgendlich mit dem letzteren, womit die Kranken am besten erquicken seien, und schaffte freudigen Herzens das Beste, was Garten, Küche und Keller zu bieten vermochte, auf die Tafel des Krankenhauses.
Fast allerorts finden wir im Mittelalter, daß neben der Geistlichkeit auch die Ritter Spitalsorden gründeten und sich der Krankenpflege widmeten. In Hildesheim fehlt davon jede Spur. Das mächtige Bistum ließ derartige Bestrebungen in seinen Mauern nicht hochkommen. Als aber die bürgerlichen Kreise zum Bewusstsein ihrer Bedeutung erwachten und sich der Gegensatz zwischen Bischof und Rat immer mehr zuspitzte, da war die Zeit vorüber, in der die Laien auch mit einer untergeordneten Stellung zufrieden waren. Hand in Hand mit dem aufblühen der Stadt beginnt der bürgerliche Spitalorden sich zu entwickeln und mit ihm wird die Institution des bürgerlichen Hospitals ins Leben gerufen. Sein Mittelpunkt ist der Orden des Heiligen Geistes; fast jede Stadt in Deutschland hatte ihr „St. Spiritus-Hospital“. Nur wenige derselben waren übrigens dem Orden wirklich eingegliedert, in Norddeutschland waren die meistens städtischen Anstalten. So auch in Hildesheim.
Hier existierte allerdings schon vor Gründung des heiligen Geisthospitals ein anderes städtisches, welches in einer Urkunde aus dem Jahre 1270 kurz domus hospitalis infra civitatem (im Gegensatz zu dem außerhalb der Stadt gelegenen Leprosenhaus St. Katharina) genannt wird. Es lag neben dem Andreas-Kirchhof und wird im Jahre 1293 urkundlich als „Andreashospital“ bezeichnet. Eine große Bedeutung scheint es nicht gehabt zu haben.
Neben ihm wird im Jahre 1326 zum ersten Male ein hospitale sancti Spiritus juxta cimiterium sancti Andree erwähnt und diesem Heiligen-Geist-Hospital (das später im Gegensatz zu dem in der Kramerstraße seit dem Jahre 1409 bestehenden „Kleinen“ heiligen Geistspital auch das „Große“ genannt wird; später findet sich auch der Name „Trinitatishospital“, gab der Rat im Jahre 1334 eine neue Ordnung. In derselben wird bestimmt, daß das Andreashospital eingehen solle und nur die jetzigen Insassen bis zu ihrem Tode oder ihrer Genesung dort verbleiben dürfen.
Zum ersten Meister des neuen Geistspitals wird Johannes von Bethmere (Bettmar, nordöstl. von Hildesh.) ernannt, der „aus Liebe zu Gott sein Geld daran gelegt“ hatte. Ihm vorgesetzt sind zwei „biedere Männer“ aus der Bürgerschaft, welche ebenso wie ein Priester über das Wohl des Hauses wachen.
Im Übrigen ist die Aufnahme von Kranken und Armen nach denselben Prinzipien, wie beim Johannisstift geregelt. Wer zum Dienst und Pflege der kranken ins Haus aufgenommen wird, der muß „zum Zeichen des Heiligen Geistes und als Ausdruck seines Verzichtes auf alles Weltliches ein graues Kleid tragen mit einem roten, eingefassten (beslote crutze) Kreuze“ darauf. Die Pflegschaft hatte also, trotzdem sie aus Laien bestand, einen durchaus kirchlichen Charakter. Die Verwaltung des Spitals steht ausschließlich unter der städtischen Obrigkeit.
Durch den Rat wurde ihm auch im Laufe der Jahre zahlreiche Vermächtnisse, Schenkungen an Kapital und Landgut, Erbzins und dergleichen zu Teil, wenngleich auch einmal erwähnt wird, daß auf Bitten des Rates im Jahre 1354 der Bischof Heinrich III. einen Garten vor dem Almstor geschenkt hat.
Nach mehr als hundertjährigem Bestehen trat eine wesentliche Änderung in die Bestimmungen dadurch ein, daß am 27.10.1455 der Rat eine „Willkür“ erließ, dahingehend, daß künftig nicht mehr Arme, Kranke und Pilger jeglicher Herkunft aufgenommen werden durften. Es wurden 16 Pfründen geschaffen, für 8 Männer und ebenso Frauen, die „alle Bürger und Bürgerinnen zu Hildesheim gewesen oder in das Rathaus und der Stadt Dienste gestanden haben und verarmt sein mußten.“ Sobald Jemand stirbt, rückt ein Anderer, der vorgemerkt ist, in seine Stätte ein. Wir haben also jetzt ein reines Pfründehaus vor uns, das mit Krankenpflege nicht das Geringste mehr zu tun hat.
Und so blieb es auch in künftigen Zeiten – später mußten die Prediger des Hospitals zweimal wöchentlich „visitieren“. Erzählt uns doch Henning Brandis, daß der Rat einem beherzten Manne, welcher bei der großen Feuersbrunst am 1.8.1525 das Dach des Brühlturmes, in dem viel Pulver lagerte, erkletterte und das Feuer glücklich löschte „eine Pröbe im heiligen Geisthospital, sein Lebelang frei Brod und mancherlei andere Vorteile gewährte.“
War also aus dem Krankenhaus ein Pfründehaus geworden, so kann es uns nicht Wundern nehmen, daß dies auch bei anderen Hildesheimer Spitälern der Fall war. So wird z.B. im Jahre 1496 ausdrücklich „die Krankenkammer“ des Dreizehnarmenhospitals auf der Neustadt erwähnt und in einer Urkunde aus dem Jahre 1484 ist zu lesen, daß das St. Gordehardshospital sich entschloss, „ein neues Krankenhaus (infirmarie)“ zu bauen, d.h., ein eigenes Gebäude neben dem Spital, in dem ausschließlich Kranke verpflegt werden sollten. Kleinere Hospitäler beschränkten sich darauf, eine „Krankenkammer“ für diese Zwecke zu reservieren. (Wie es Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhundert noch in Hildesheimern „Spitälern“ Brauch war).
In der Geschichte des Johannis- und des heiligen Geistspital zu Hildesheim spiegeln sich die beiden Typen mittelalterlicher Krankenhäuser wieder, welche teils in den Händen der Geistlichkeit, teils unter Aufsicht der Stadtverwaltung Laienhänden anvertraut waren. Man braucht daher auf alle anderen Spitäler Hildesheims nicht näher einzugehen, da sie in kulturhistorischer Beziehung nichts Neues bieten, überdies auch die über sie erhaltenen Nachrichten nur spärlich sind.
Fragen wir nun zum Schluß, welches Maß von wirklicher Arbeit in den Spitälern geleistet wurde, so ist diese Frage natürlich aus den Urkunden nicht zu beantworten. Indessen dürfen wir für Hildesheim getrost dieselbe Anerkennung in Anspruch nehmen, die Johann Gerhard W. Uhlhorn als allgemein zu Recht bestehen annimmt, nämlich:
„Schon die eine Tatsache, daß jetzt in der ganzen Christenheit hunderte und tausende von großen und kleinen Spitälern vorhanden waren, getragen von der Liebe der Christen, bedient von Scharen von Brüdern und Schwestern, die dort aus Liebe zu Gott und ihrem Herrn Christo der Armen und Elenden sich annahmen, daß in diesen Spitälern so manche durch die Unruhe der Welt müde geworden Seele einen stillen Lebensabend, so mancher Notleidende Pflege, so mancher Kranke Genesung, so mancher Sterbende ein stilles Ende unter den Gebeten der Brüder und Schwestern fand, schon diese eine Tatsache genügt, um zu zeugen, daß jetzt die christliche Liebestätigkeit zu ihrer Blüte gekommen war!“
Textquelle: "Die Geschichte der Medizin in Hildesheim während des Mittelalters"; von Ernst Becker, Oberarzt des städt. Krankenhauses zu Hildesheim; Verlag v. August Hirschwald; Berlin 1899; Seite 6ff