von Dr.med. Ernst Becker
Das sogenannte „Niederes Heilpersonal“
Die Bader
Der Zahnarzt
Die Ärztinnen
Die Hebammen
Die Brüderschaft des heiligen Alexius
Neben den Ärzten standen im Solde der Stadt Leute, die entweder ausdrücklich als zum „niederen Heilpersonal“ gehörig bezeichnet, oder nur beim Namen ohne Angabe des Standes genannt werden, nämlich:
1421 |
Rothar der Scherer |
1426-32 |
Wilhelm Becker der Scherer (Barbier) |
1429 |
Peter Vorblade und Heinemann Hagemann |
1429-30 |
Rotger von Dorpmunde (Dortmund) |
1473 |
Hans Blome |
1474 |
Hans Wigand |
1479 |
Hans Valsche |
Sie beschäftigten sich (allerdings ausschließlich) mit Ausübung der Wundarznei und behandelten die in den zahlreichen Fehden damaliger Zeit verwundete Diener und Bürger der Stadt.
Auch sie erhielten oft eine recht hohe Bezahlung. So wurde z.B. dem Scherer Wilhelm Becker im Jahre 1431 für Behandlung zweier Verwundeter neun Pfund aus der Stadtkasse gezahlt. Hans Blome erhielt sogar für Behandlung von 40 Verletzten und Angeschossenen nicht weniger als 10 ½ Pfund 3 Schilling und 4 Pfennig und Meister Johann für die Heilung von 38 Verwundeten 10 Pfund 2 ½ Schilling und 2 Pfennig.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts sehen wir, daß auch in Hildesheim die Barbiere sich zu einer Brüderschaft zusammentaten, deren „Rolle“ einen interessanten Einblick in das Leben der damaligen Zeit gewährt.
Rolle der Brüderschaft der Barbiere (auszugsweise):
Die Barbiere begehrten und erhielten vom Rat die Erlaubnis zur Bildung einer Brüderschaft zu Ehren der heiligen Märtyrer Cosmas und Damiani, ihrer Schutzherren. An der Spitze derselben standen zwei Schaffer und zwei Beisitzer, welche während eines Jahres die Brüderschaft “regierten“. Nach Ablauf des Jahres hatten sie in öffentlicher Versammlung Rechenschaft abzulegen über Einnahme und Ausgabe ihrer Kasse. Die Jahresversammlung fand stets statt am ersten Sontag nach Sankt Jürgen (23. April). Ein Schaffer und ein Beisitzer schieden dann aus dem Vorstand aus, und es fand eine Neuwahl statt. Wer eine Wahl nicht annehmen wollte, verfiel in eine Strafe von vier Pfund Wachs.
Im Besitze der Brüderschaft befand sich eine Lade mit drei Schlössern, die stets verschlossen sein mußte. Sie wurde von dem einen Schaffer in Gewahrsam genommen, während der andere, sowie die beiden Beisitzer je einen Schlüssel bewahrten. Geöffnet durfte sie nur im Beisein aller vier Personen werden. Darin wurde außer der Kasse auch der besiegelte Brief, die Stiftungsurkunde des Rates, aufbewahrt. Jeden Sonntag mußten die Meister jeder einen Goslarschen Pfennig und die Gesellen („Knechte“) einen neuen Pfennig einzahlen.
Wollte einer Meister werden, so hatte er zunächst vier Meisterstücke zu arbeiten, zahlte dann dem Rat sechs, der Brüderschaft zwei neue Pfund, sowie zwei Pfund Wachs und mußte den Meistern eine „Kollation“ (Mahlzeit/Imbiss) spenden, bestehend aus einem Schinken, einem Schafkäse mit Brot und einer Tonne hildesheimischen Bieres. Wer aber Zwietracht dabei stiftet, der muß die Tonne wieder füllen lassen. Kein Meister darf dem anderen ins Handwerk pfuschen bei Strafe von vier Pfund Wachs. Wenn ein Meister einen Beinbruch zu verbinden bekommt, so hat er ein Pfund Wachs zu zahlen.
Niemand, weder Meister, noch Frau, Knecht oder Gesinde darf während des Sonntags arbeiten bei Strafe von vier Pfund Wachs und Auslieferung seines Verdienstes an diesem Tag.
Wegen Schulden darf Niemand vor dem Rat, sondern zunächst immer erst vor den Schaffern verklagt werden. Das Lehrgeld für einen Lehrjungen bestand in einem Pfund Wachs. Starb ein Meister, so durfte die Frau das Geschäft fortführen; verheiratete sie sich wieder mit einem Gesellen, so mußte dieser Meister werden. Heiratet sie aber einen anderen Handwerker, so wurde sie der Brüderschaft verwiesen. Diese vorbezeichnete Satzungen mußten alle Jahre einmal bei der Wahl der Schaffer vorgelesen werden.
Später wurde der weitere Beschluß gefaßt, daß demjenigen, welcher den Schaffern nicht gehorsam war, die Ausübung des Handwerks verboten werden konnte. Außerdem wurden die Gebühren für einen Knochenbruch (ausgenommen Bein- und Armbruch) auf drei Schilling erhöht.
In einem späteren Zusatz wird die Zusammensetzung von vier Pflastern bekannt gegeben, welche anscheinend als Geheimmittel von der Brüderschaft bewahrt wurden, nämlich emplastrum fuscum, attractivum glaucum, canum und unguentum mundificatum.
Die den Barbieren verwandten Bader werden zwar auch urkundlich erwähnt, aber niemals mitgeteilt, daß sie Heilkunde getrieben hätten. Bei der Darstellung der Badereinrichtungen in Hildesheim habe ich auf dieselben zurückzukommen.
Nur einmal finde ich einen Zahnarzt oder „Zahnbrecher“ (tenebreker) erwähnt.
Neben diesen Helfern männlichen Geschlechts trieben auch mehrfach „Ärztinnen“ während des Mittelalters Praxis in Hildesheim. Schon im Jahre 1425 wird die Augenärztin (ogenarstetinne) Ludeke Becker kurz erwähnt, welche 7 Quentin (70 Pfennig) Steuern zu zahlen hatte. Ferner schwor im Jahre 1449 vor dem Rat „des Heinrich Otten Ehefrau unter Berührung des Reliquienkästchens mit der Hand, daß sie innerhalb der nächsten acht Tage durch Ärzte beweisen sollte, daß sie als Ärztin genüge, oder sie solle nach Verlauf dieser acht Tage von Stund an die Stadt räumen und in einer Entfernung von fünf Meilen Weges sich aufhalten, bis der Rat sie begnadige.“
Im Jahre 1458 praktizierte hier die Ärztin Katharina; sie hatte versprochen, den Bürger Harden zu heilen und dessen „Wurm zu tödten“, wofür sie drei Gulden Honorar beanspruchte. Harden verweigerte die Zahlung, da er angeblich noch nicht geheilt sei. Endlich wurde im Jahre 1473 der Kokschen für „Wundertrank“ für sieben Verwundete nicht weniger als 7 Pfund 6 ½ Schilling und 2 Pfennig bezahlt. Ein andermal erhielt sie noch zwei Schilling für Wundertrank und die Munszelsche für Arzneibehandlung eines gewissen Meier 13 Schilling und 4 Pfennig.
Den wichtigsten Bestandteil des „Wundertrankes“ bildet nach Haeser die Beifußwurzel (Rad. Artemisiae vulgaris). Gegen „faule“ Wunden und viele Hautkrankheiten kommen hauptsächlich adstringierende und ätzende Substanzen (Kupfervitriol, Ätzkalk, Arsenik und dergl.) zur Anwendung.
Hebammen oder, wie sie damals genannt wurden, „bademomen“ werden erst im 15. Jahrhundert erwähnt, zuerst im Jahre 1430, wo die Steuer der bademome Hille im Betrag von 16 Pfennigen angeführt wird. Erhalten ist uns ferner die Eidesform der städtischen Hebamme, wie sie zwischen 1460 und 1480 üblich war. Sie schwor vor dem Rat der Stadt , daß sie eine rechte Hebamme sei, treulich in aller Not Armen und Reichen mit Rat und Tat zur Seite stehen wolle, stets ohne Neid und Hass denken und handeln und nach bestem Wissen allen Frauen, von denen sie verlangt würde, mit Gottes Hilfe das Beste tun wolle, so viel in ihren Kräften stünde; daß sie auch vom Hause vier und der „Bude“ zwei Schillinge und nicht mehr, von den Gevattern bei der Taufe aber überhaupt nichts heischen wolle. Außerhalb Hildesheims Stadtmauer durfte sie nur mit Genehmigung des Bürgermeisters praktizieren.
Übrigens war es doch üblich bei der Taufe der Hebamme ein Geschenk zu machen. Der Bürgermeister Henning Brandis gab in der Regel einen „Bauerngroschen“ (burkrossen = goslarschen Groschen mit den Bildern des heiligen Simon und Judas), einmal auch drei Schillinge. Wer zuerst die Nachricht von der glücklich beendeten Geburt überbrachte, erhielt als „Botenbrod“ meist höhere Beträge; oft 3-12 Schilling.
Welche Ausbildung die Hebammen genossen, welche Kenntnisse sie besaßen, darüber schweigt natürlich die Geschichte. Der Name „bademome“ scheint darauf hinzudeuten, daß sie lediglich auf das Baden des neugeborenen sich beschränkten. Jedenfalls wurden sie vielfach erst nach Beendigung der Geburt herbeigerufen. Nicht selten rief man sie überhaupt nicht. Henning Brandis Ehefrau Anna starb im Wochenbett am 9. Tag nach der Entbindung, bei welcher nur deren „befreundete Frauen“ zugegen gewesen waren. Wurde die Hebamme aber zur Entbindung rechtzeitig zugezogen, so beschränkte sie sich darauf, die Kreissende zu „trösten“.
Aber wie sollten auch die Hebammen die Geburtshilfe erlernen? Standen sie doch ausdrücklich unter der Aufsicht – des Predigers! Die „christliche Kerkenordeninge der Löffligen Stadt Hildenssem“, welche im Jahre 1544 von Bugenhagen, Corvin und Winkel erlassen wurden, bestimmt darüber das folgende:
Von Bademömen und Leibesfrucht
„Solche Frauen muß man haben, auch darauf sehen, daß sie ehrlich und gottesfürchtig sind, die sich auf ihr Amt wohl verstehen und in bequem gelegenen Stätte wohnen, damit sie Armen und Reichen dienen können.
Die Predikanten sollen die Frauen unterweisen, die da schwanger sind, ist von Nöten, daß sie auf folgende Weise handeln. Wenn die Zeit der Geburt antritt, sollen sie diese Frauen trösten und zur Danksagung ermahnen, deshalb, weil ihnen die Gnade Kinder zu gebären, von Gott verliehen ist, welche nicht allen Frauen gegeben ist. So ist auch Gott selbst bei der Geburt und vertritt die Stelle der Bademome.“
Insbesondere wird empfohlen, wiederholt (anscheinend, wenn sich die Geburt in die Länge zieht) zu beten: „Lathet de Kinderken tho mik kommen“ usw.
Endlich folgen einige Bestimmungen über die Nottaufe.
Unterstützt wurden die Hebammen aus der Kirchenkasse (dem gemeinen Kasten), welche in jeder Kirche für die Almosen der Kirchgänger aufgestellt war. „Sonderlich soll man diejenigen unterstützen, welche dem Rat geschworen sind, damit sie desto fleißiger auch den armen Frauen dienen. Was sie an Trinkgeld außerdem noch kriegen können, das mögen sie gerne nehmen, daran ist der Stadt groß gelegen“.
Kein Wunder, daß bei dieser mangelhaften Leitung von Geburt und Wochenbett manche Frau an Kindbettfieber erkrankte. Dann aber ging die Behandlung in die Hände des – städtischen Schinders (vilre) über. Kurz und bündig wird in dem Vertrag, welchen am 21.2.1477 der Rat mit dem Schinder über seine Gebühren abschloss, das Schicksal der unglücklichen Frauen besiegelt mit den Worten:
„Item vor eyn fruwen to handelende in puerperio unde or graf to makende tein nige Schillinge.“ Behandeln und Bestatten, zusammen für 10 Schillinge!
Allgemein üblich war es, armen Frauen während der Wochenzeit (in dat Kindelbedde) Unterstützung an Geld, meistens 2-4 Schillinge, zu gewähren. Eigentümlich ist die Sitte, das „Kindbettlaken“ zu vererben.
siehe auch: Die Alexianerbrüderschaft
Ehe wir die Darstellung abschließen von dem Leben und Wirken derjenigen Personen, welchen in Hildesheim die Krankenpflege während des Mittelalters oblag, müssen wir noch der Brüderschaft des heiligen Alexius, der „Alexianer“ oder „Willigen Armen“ gedenken, welche in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zuerst in Erscheinung treten. Sie heißen auch „Celliten“ (von cella = das Grab), weil sie vorwiegend die Leichenbestattungen besorgten. Das Volk nennt sie gern „Lollharden“ oder „Nollharden“, „Lullbrüder“ nach dem eintönigen Gesang, mit dem sie die Leiche zu Grabe tragen.
Im April des Jahres 1470 bildete sich aus dem Handwerkerstand heraus ein freier Verein mit klösterlicher Einrichtung, wie sie seit Mitte des 14. Jahrhunderts bereits in vielen Städten zur Pflege der Kranken und Bestattung der Toten sich gebildet hatten. Sie hatten ihr Hospital (Alexiushospital, Lüllkehaus) an der Ecke des Langen Hagen und der Schenkenstraße und legten das Gelübte nach der Regel des heiligen Augustin ab. Johannes Busch, Probst des Sülteklosters war ihr Beichtvater und gibt uns eine interessante Schilderung ihres Lebens:
„Alle jene Brüder sind Laien, ungelehrt und ohne Schulbildung, wenn nicht zufällig einige unter ihnen schreiben und deutsch lesen vor ihrem Eintritt gelernt haben. Sie waren nämlich alle vorher Schuster, Schneider und ähnliche Handwerker. Daher haben sie auch keinen Priester und Vater bei sich im Hause, sondern sie erwähnen einen aus ihrer Mitte zum Superior, den sie überall „Procurator“ heißen….
Einkünfte haben sie nicht, da sie freiwillig arm sind, noch Geld oder Eigentum; sie leben vielmehr von den Almosen der Gläubigen, welche sie Tür bei Tür erbetteln. Täglich gehen sie nämlich zwei und zwei zugleich durch die Stadt, den einen Tag durch diese, den anderen durch jene Straße und betteln Tür bei Tür. In die Häuser gehen sie nicht hinein, sondern bleiben vor der Tür stehen und sagen deutsch: „Brot um Gottes willen“. Oft gibt man ihnen, oft auch nicht und dann wird ihnen gesagt: „Gott bezahlt Euch“….
Die Einwohner sind ihnen im Allgemeinen sehr gewogen und wohl gesinnt, da sie bei Krankenwachen und dieselben Tag und Nacht bis zum Tode pflegen, ihnen die notwendigen Dienste erweisen, sie im Guten stärken und sie im Todeskampfe gegen die Anfechtungen des Satans unterstützen. Sie kleiden und zieren die Leichen und besorgen alles Notwendige zur Beerdigung, tragen die Leichen zu Grabe und beerdigen sie. Sie gereichen also in großen Städten wegen der Kranken- und Leichenwache und wegen der Besorgung ihrer Beerdigung zu großen Nutzen“.
Textquelle: "Die Geschichte der Medizin in Hildesheim während des Mittelalters"; von Ernst Becker, Oberarzt des städt. Krankenhauses zu Hildesheim; Verlag v. August Hirschwald; Berlin 1899; Seite 22f