von Walther Tuckermann
Im Jahre 1400 verbot der Rat jedwede broderschup oder selschup der Knechte zum Zweck der Pflege der Geselligkeit oder milder Unternehmungen. Dieses Verbot legt uns die Frage nahe: haben vor dieser Zeit tatsächlich Gesellenkorporationen bestanden oder wollte der Rat Erscheinungen vorbeugen, welche in anderen Städten durch die steigende Macht der Gesellen, die in eine wirtschaftlichen Gegensatz zu den älteren Meisterverbänden traten, gezeitigt wurden? Ausdrücklich überliefert ist uns die Existenz keines Gesellenverbandes. Auch die Stiftung eines Lichtes in der Minoritenkirche durch die Leinenweberknechte im Jahre 1381 spricht nicht mit absoluter Sicherheit für das Bestehen einer Korporation. Ja, diese Annahme wird durch die Tatsache illusorisch, daß auch nach dem Ratsverbot, im Jahre 1402, eben die Gesellen der Leinenweber die Einschränkung ihres Gefolges bei Kinderbeerdigungen erwirkten, also doch auch hier eine vorhergehende Verständigung der Knechte nötig sein mußte. Nach dem Wortlaut des Verbotes könnte man ja immerhin die Existenz von Gesellenkorporationen annehmen, aber die Stiftung der Leinenweberknechte ist kein Beleg für eine solche.
Indes der Drang der Zeitverhältnisse konnte auf die Dauer obrigkeitliche Edikte nicht eindämmen. Im Jahre 1452 ist denn auch eine Korporation der Schneidergesellen mit ausgedehnten Statuten und einem nicht unbedeutenden Arbeitsfeld nachweisbar. Im Jahre 1467 scheinen die „Schuhknechte“ sich in einem Verband zusammengeschlossen zu haben, wenigstens haben sie eine eigene Kasse. Der Rat erteilte ihnen, indem er sich im Gegensatz zu den argwöhnischen Meistern befand, die Berechtigung: was de knechte under sek hebben van gelde, dat se darvan rekenschup don.
Interessante Aufschlüsse über die Absichten und das innere Leben einer Gesellenkorporation bieten uns die Statuten der Schneiderknechte, welche diese mit den Meistern vereinbarten. Voraus sei bemerkt, daß die Korporation ebenso Gesellen wie Lehrlinge umfasst. Die Mitglieder, welche in den Versammlungen Störungen bereiten, übermäßig trinken oder höher denn einen Pfennig spielen, müssen ein Pfund Wachs als Buße erlegen.
An vier Montagen im Jahr sammelt die Korporation alle Mitglieder um sich. Die Tage werden durch einen Gottesdienst in der Kirche des Dominikanerklosters eingeleitet. Die religiöse Zeitlage wird durch die ausdrückliche Mahnung, der Messe van ersten an wen to dem ende beizuwohnen, eigenartig beleuchtet. Darauf begeben sich die Gesellen in die Badestuben. Nicht nur diejenigen, welcher an einem verbotenen Platz badet, sondern auch der, welcher sich überhaupt weigert zu baden verfällt in eine kleine Geldstrafe.
Unter Mitführung der dem Verband gehörenden Totenkerzen beteiligten sich alle Mitglieder an dem Leichenbegräbnis eines Mitbruders. Die von der Kirche befohlenen Festtage werden durch Beteiligung an religiösen Feiern beobachten. Auch das äußere Auftreten der Mitglieder wird scharf kontrolliert und unterliegt bestimmten Ordnungen. So können die Röcke von zweierlei Farbe sein; die Hose indes dürfen wie die Ärmel und der Kragen des Wamses nur einfarbig sein. Barfuß zu gehen ist nur den Fußleidenden gestatte.
Wie jede Organisation hat auch der Gesellenverband einen Vorstand. Ihn bilden die Schaffer (Schafferknechte), die von einem Beisitzer unterstützt werden. Die Wahl der Schaffer, welche nur von den Gesellen betätigt wird, geschieht auf ein halbes Jahr. Die Gesellen und die Lehrlinge haben ihnen unbedingten Gehorsam zu leisten. Von ihrem Lohn geben die Gesellen anscheinend jährlich vier Pfennig und die Lehrlinge drei Pfennig an die Kasse der Genossenschaft, die von den Schaffern verwaltet wird. Aus ihr werden den kranken Gesellen vier und dem leidenden Lehrling zwei Schilling bewilligt, die sie nach erfolgter Genesung zurückerstattet müssen. Wahrscheinlich unterhielt die Gesellenschaft in der Paulskirche der Dominikaner einen Altar, worauf die Bußen in Wachs schließen lassen.
Der Rest der Statuten regelt das Verhältnis der Mitglieder zu den Meistern. Welcher Geselle die Arbeit seines Herrn versäumt, soll zuerst den diesem erwachsenen Schaden ersetzen. An den Feiertagen erhält der Knecht vom Meister Geld, dat he de hilgen dage vyren scholde. Wenn er nun die freie Zeit benutzt, um bei einem fremden Meister zu arbeiten, macht er sich einer Strafe von zwei Pfund Wachs schuldig. Eine neue Stelle konnte der Geselle nur mit Zustimmung der Gilde antreten. Alle Willküren, welche die Gesellenschaft fürderhin trifft, sollen nur im Einvernehmen mit der Schneidergilde geschehen.
Textquelle:
Walther Tuckermann
Inaugural-Dissertation
„Das Gewerbe der Stadt Hildesheim bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts“; Berlin 1906; Druck: E. Ebering Berlin